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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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gewahr.
    Hier in Barelona geht alles mustergültig seinen Gang, und ich kann
zu optimalen Bedingungen studieren, habe auch einen Nebenerwerb beim Radio.
    Beim Radio? Toll. Was machst du denn da?
    Ich – das unterliegt der Geheimhaltung. Es gibt kein Honorar, aber
immerhin eine Art kalten klebrigen Eintopf …
    Der Zensor hob den Finger. Keine herablassenden Angaben über die
Lebensmittellage!
    Ich hab auch ein Mädchen getroffen, eine Italienerin.
    Und ich habe Döblin und Klaus Mann kennengelernt. Sie waren ganz wild darauf, meinen
Roman zu lesen. Aber ich komm einfach nicht dazu, ihn fertigzuschreiben …
    Was redet der da? Der Zensor verzog mißbilligend den Mund.
    Ich weiß auch nicht genau.
    Ihr Bruder, sagten Sie, sei Student. Dabei schreibt er Romane! Und
renoviert Hotels!
    Das macht er wohl nachts, nach den Hausaufgaben.
    Der Zensor dachte kurz nach, stieß Luft aus, dann gab er mit einem
Wink das Gespräch wieder frei.
    Also, wenn es euch da oben gut geht und ihr etwas Geld übrig habt,
dann sendet es an die übliche Adresse, ich lebe da jetzt alleine, meine
Zimmerwirtin wurde … in ein Krankenhaus eingewiesen, und ich bin so verliebt,
das kannst du dir kaum vorstellen.
    Reichen tausend Francs?
    Dicke. Danke. Das wäre famos. Auch wenn das meiste davon
wahrscheinlich für dieses unverschämt teure Gespräch hier draufgehen wird …
    Wieder hob der Zensor den Finger.
    Kein Problem. Das Leben hier ist ein Traum. Momentan. Vergiß bloß
nicht, rechtzeitig abzuhauen. Die Zeitungen sagen, solange Frankreich und England
neutral bleiben, hat die Republik gegen Franco auf Dauer keine Chance.
    An diesem Punkt kappte der Zensor die Leitung. Er habe, meinte er,
bis dahin viel durchgehen lassen, aber defätistische Kommentare über den
Ausgang des Krieges seien nicht hinnehmbar. Dieses Brüderchen sei wohl ein
Schweinehund.
    Max habe doch nur, sagte Karl, objektive, neutrale ausländische
Medien zitiert, das sei doch nicht mit seiner Privatmeinung gleichzusetzen.
    Der Zensor schüttelte den Kopf, nicht böse, eher traurig. Dann offenbarte
er eine unvermutet menschliche Seite.
    Das Gespräch war doch eh schon teuer genug für Sie – und alles
Wesentliche wurde gesagt. Sie sind schwer verliebt und brauchen Geld. Er, der
Philosophiestudent und Freizeitschriftsteller, schickt Ihnen Geld. Und so viel!
Ich will gar nicht wissen, woher er das hat. Mission erfüllt. Ich gehe jetzt
Kaffee trinken. Schönen Abend, Genosse.
    Karl mußte achtzig Peseten bezahlen, drei Viertel seiner gesamten
Barschaft. Und doch war das eine überaus lohnende Investition in Hinsicht auf
die kommenden tausend Francs.
    Sobald sie eintrafen, nur drei Tage später, ging er noch einmal ins Hotel Continental .
Ihm sei ein bedauerlicher Irrtum unterlaufen. Meinte Karl und drückte Mrs.
Blair fünfzig Peseten in die Hand. Kaufen Sie Ihrem Mann Tabak dafür. Ich
entschuldige mich. Der Krieg – wissen Sie –
    Schon gut. Die junge Dame lächelte verzeihend. Es war meine Schuld.
Ich dumme Pute hätte auf Ihre Forderung ja nicht eingehen müssen. Hätte mich
gefälligst mal nach dem Tabakpreis erkundigen können. Eric wird sich freuen. Er
hält sehr viel von Ihnen. Er dachte tatsächlich, daß Sie derjenige gewesen
seien, den man übers Ohr gehauen hat.
    Ich dachte wiederum, Sie seien wohlhabend, stotterte Karl, um sich
weiter zu rechtfertigen, und er hoffte auf eine Äußerung wie: Machen Sie sich keine
Gedanken, wir kommen schon klar . Aber Mrs. Blair tat ihm den
Gefallen nicht.
    Nein, wir sind arme Leute. Leider. Ich kann ganz gut tippen. Wenn
Sie mal von jemandem hören, der eine Tippse braucht –
    Sie vollendete den Satz nicht, wohl weil ihr die Situation peinlich
wurde. Karl hätte bei der Partei anfragen können; fähige Schreibkräfte wurden
gesucht. Aber die Frau eines Mannes, der bei der POUM Dienst tat, das kam nicht in Frage. Also versprach er, sich anderweitig
umzuhören, drückte der Engländerin noch einmal die Hand und verließ mit
betrübter Miene das im übrigen wirklich winzige Zimmer. Mrs. Blair würde hier
einigermaßen sicher sein, so sicher, wie man in diesen Zeiten irgendwo sein
konnte. Das Continental galt als neutraler Ort, weil es durch die Generalität kollektiviert worden war,
nicht durch die CNT oder UGT .
Ehefrauen von Frontkämpfern bezahlten für die Logis, wie Karl von einem
Kofferträger erfuhr, nur einen beinahe symbolischen Betrag. Um so mehr schämte
er sich nun seiner Verfehlung, die er nur halb aus der Welt

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