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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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über die nähere und fernere Zukunft. Max hatte nämlich einen Entschluß
gefasst, der Ellie anfangs schockierte, den sie nicht recht einzuordnen wußte,
bis er ihr seine Gründe offenlegte.
    Pierre wird es wieder tun. Irgendwann ist die Trauerzeit vorbei. Und
dann sagst du: Ja.
    Ich sage Ja? Wie bitte?
    Du nimmst seinen Antrag an.
    Ellie verstand diesen Vorschlag, der eher nach einem Befehl klang,
als Trennungsgespräch.
    Du liebst mich nicht mehr?
    Doch. Das tue ich.
    Ellies Miene hellte sich auf. Verstehe. Ich sage Ja, und dann halten
wir ihn hin.
    Ein wenig halten wir ihn hin. Dann heiratest du ihn.
    Bist du böse auf mich, Chéri? Warum sagst du denn so was?
    Also hör mal! Max wollte Ellie in den Arm nehmen, aber die schob ihn
von sich fort und rieb sich die ersten Tränen aus den Augen. Max konnte es
nicht leiden, wenn sie weinte, nicht einmal jetzt, wo es ihm doch hätte
schmeicheln müssen. Weinende Frauen, fand er, seien das Gegenteil jeglicher
Vernunft.
    Bitte! Hör mir zu! Du gehst mit ihm ins Bett, er schiebt sein
Fortpflanzungsorgan in deine Körperöffnungen, da kannst du ihn doch auch gleich
heiraten. Was tuts? Du nimmst dann die französische Staatsbürgerschaft an und
bist vor Abschiebung sicher. Für immer versorgt bist du auch. Und vielleicht
erschlägt ihn ja der Blitz, dann wärst du wieder frei.
    Ich kann nicht glauben, daß du so daherredest! Ich habe vielleicht
kein sehr züchtiges Leben gelebt, aber daß mein Freund deshalb von mir verlangt – also! Nein! Du wirst lachen, aber die Ehe ist – selbst für eine wie mich –
eine Sache, mit der man keinen Schabernack oder Schindluder treibt.
    Das ist kein Schabernack. Ich habe alles wohl überlegt. Ob du einen
Ring am Finger und seinen Nachnamen durch die Landschaft trägst, was wäre das
mehr als eine Formalie? Ich liebe dich nach wie vor. Und gerade deswegen sage
ich: Heirate ihn! Wir hätten alle etwas davon. Glaubst du etwa, daß ich nicht
eifersüchtig wäre? Oh ja, ich wäre nicht nur eifersüchtig, ich bin es. Und weil ich es
eben schon bin, können wir dem ganzen Theater auch einen tieferen Sinn geben.
    Es dauerte zwei Stunden, bis Max seine aufgebrachte Geliebte
halbwegs davon überzeugt hatte, daß er sie nicht etwa abschieben wollte,
sondern viel eher selbstlos zu ihrem Wohl handelte. Stoisch, unter Verzicht auf
alle männlich-angestammten Rechte an der Dame seines Herzens.
    Und soll ich dann jahrelang mit ihm leben müssen? Wie stellst du dir
das vor? Soll er mich auch schwängern dürfen, wenn er das will?
    Das wirst du sicher zu verhindern wissen. Wer wäre darin geübter als
du? Vertrau mir bitte. Es wird für alles eine Lösung geben.
    Ich schwöre dir, wenn du mich fallenläßt, dann werd ich, dann werd
ich! – es wird dir übel bekommen, hab acht, was ich sage!
    Max nickte stumm. Wieder einmal wunderte er sich, daß seine Liebe
ausgerechnet jener verstockt-begriffsstutzigen Person galt. Aber dem war nun
einmal so.
    Am 3. Mai ging das Pulverfaß hoch.
    Der
kommunistische Polizeichef Salas befahl der Guardia Civil und den
Sturmgardisten, die
Telefónica
, das von den Anarchisten kontrollierte
Telefonamt an der Plaza de Catalunya, zu besetzen. Die Anarchisten und die POUM
sprachen von einer ungeheuren Provokation. Viele Arbeiter traten spontan in den
Generalstreik. Barrikaden wurden errichtet. Bewaffnete Milizen der POUM und der
CNT/FAI, die die Vorstädte beherrschten, kämpften sich in Richtung des
Stadtzentrums vor, das in großen Teilen von Kommunisten und Guardia Civil
gehalten wurde.
    Karl wußte nicht, wer wo und warum angefangen hatte, das
war auch kaum von Belang. Die vom Krieg bis dato weitgehend verschonte Stadt
Barcelona verwandelte sich binnen weniger Stunden in eine Stätte des Irrsinns.
Maschinengewehrnester auf Hochhäusern und Kirchtürmen nahmen jeden unter
Beschuß, der es wagte, sich auf der Straße aufzuhalten oder die großen Plätze
zu überqueren. Es existierte keine Linie, hinter der man sich sicher fühlen durfte.
Welches Haus von welcher Partei verteidigt wurde, ließ sich höchstens durch
einen Selbstversuch erfahren, und selbst dann war nichts klar. Manche meinten,
es handele sich um einen überhitzten Konflikt zwischen der Polizei und der
anarchistischen Gewerkschaft, andere redeten davon, daß die Kommunisten einen
Staatsstreich verüben und als ersten Gegner die POUM zerschlagen wollten. Ob die Garden mit oder ohne Befehl gehandelt hatten, wußte
niemand außer ihnen selbst. Die Regierung in

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