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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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darum, ihn wie bisher Franz zu rufen,
schon allein, weil er sich wie ein neuer Mensch fühlte, der auf seine abgelegte
Haut keinen Wert mehr legte. Alles war nun anders und großartig. Mila krempelte
ihre Hose bis über die Knie hoch und ließ die Gischt um ihre nackten Füße
spielen. Röcke, sagte sie, besitze sie nicht. In Italien wäre das ein Skandal
ohnegleichen. Sie habe alles hinter sich gelassen, ihre Eltern, drei Brüder,
zwei Schwestern, um hier in Spanien die Freiheit zu leben. Karl nickte
zustimmend. Es gebe, erklärte Mila stolz, keine Macht der Welt, die ihr Zügel
anlegen könne, sie mache, was sie wolle. Karl nickte erneut, aber weniger
heftig.
    Mila begann zu singen. Sie hatte eine helle, leicht kieksige, dabei
angenehme Sprechstimme, und ihren Akzent fand Karl, wie fast alles an ihr,
entzückend. Der Gesang – nun ja. Das Meer erträgt soviel.
    Am Abend erhielt Karl ein Telegramm aus Paris. Mila war ganz baff.
Wer Telegramme aus Paris erhielt, der stellte etwas dar. Was steht denn drin,
fragte sie, neugierig wie ein Kind, dann erschrak sie. Ihr war eingefallen,
daß, so drückte sie es aus, schlimme Nachrichten gerne in Telegrammen reisen.
    Karl las vor.
    Sind
    umgezogen Hotel Monbijou, Rue Dunkerque 2. Gehts dir gut? Brauchst du etwas?
Wir sind telefon. erreichbar u. Trudaine 42–79. 
Grüße M und E.
    Karl mußte nun viel erzählen und erklären, aber das Wichtigste
konnte er sich selbst nicht erklären: Aufgrund welcher glücklichen Fügung
leisteten sich Max und Ellie den Aufenthalt in einem Hotel ? Beziehungsweise:
warum verloren sie darüber kein Wort?
    Immerhin hatten sie die Wörter telefonisch und unter abgekürzt, um Gebühren zu sparen.
    Mila zog am nächsten Tag zu Karl in die kleine Wohnung, er hatte sie
dazu aufgefordert, und erst als sie ihr Einverständnis gab, kamen ihm Bedenken.
Eine schöne junge Frau konnte in diesem verrufenen Viertel vor Belästigungen
nicht sicher sein. Er sagte ihr das. Er sagte ihr auch, mit wem er hier über
Monate zusammengelebt hatte. Falls Ines zurückkäme, womit Karl aber nicht
rechnete, könne es eng werden. Mila wollte alles ganz genau wissen.
    Du hast – mit einer Prostituierten? Geschlafen?
    Sie benutzte ein italienisches, viel ordinäreres Wort und sah ihn
mit großen Augen an.
    Nein, niemals. Ines war meine Zimmerwirtin, und das ist alles.
    Weshalb hat man sie denn verhaftet?
    Ich habe keine Ahnung. Nicht die geringste. Ich befürchte leider,
daß sie tot ist. Ihr Name stand nicht auf der Liste der Gefangenen. Die
Sturmgardisten haben sie brutal geschlagen. Das weiß ich von einem Nachbarn.
Und was ich noch weiß, ist, daß sie bestimmt nichts dagegen hätte, wenn du hier
mit mir zusammenlebst. Sie war ein guter Mensch, vielleicht ist sie es noch
immer.
    Du vergötterst sie ja geradezu!
    Karl entgegnete nichts. Der Vorwurf zeugte von sehr wenig Großmut.
Milas unverhohlene Eifersucht ging ihm zum ersten Mal auf die Nerven.
Italienerinnen, dachte er, müssen vermutlich so sein. Er packte das Mädchen an
den Schultern und riß es an sich. Rabiat und besitzergreifend. Mila schien das
sehr zu gefallen. Sie war erregt, und schon Sekunden später lagen beide auf dem
Bett. Im allerletzten Moment appellierte sie mit einer Ohrfeige an Karls
Verantwortung, und er ergoß sich, laut stöhnend, auf ihren Bauch. Gern hätte er
mit der Geliebten ein Kind gezeugt, aus der puren Lust heraus, im wahrsten
Sinne des Wortes. Erst nach dem Akt sah er ein, daß das noch einmal gut bedacht
sein wollte. Und als er mit Mila darüber redete und erfuhr, daß sie auf
Nachwuchs vorläufig nicht den geringsten Wert legte, kaufte er in der Apotheke
Kondome.
    Beider Zusammenleben erwies sich als wenig problematisch. Nachts
gingen sie gemeinsam zur Arbeit und kamen spätnachts gemeinsam heim. Tagsüber
studierte Karl, während Mila sich ein paar Trinkgelder dadurch verdiente, daß
sie italienischen Freiwilligen der Internationalen Brigaden Spanisch beibrachte.
Trinkgeld zu geben war an sich noch immer verpönt, aber freiwillige Spenden für
bedürftige Aktivisten wurden geduldet und als sinnvoll erachtet. Was Karl durch
seine Latein-Nachhilfe und Mila durch ihre Sprachkurse verdienten, wanderte in
eine Haushaltskasse. Anschaffungen, die über das Notwendigste hinausgingen,
bedurften des beiderseitigen Einverständnisses. Karl und Mila verstanden sich
als funktionierende Kleinzelle im urkommunistischen Sinn.
    Die Renovierungsarbeiten verliefen überaus zufriedenstellend.
Die

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