Nicht ganz schlechte Menschen
auch
richtiggehend herausgeputzt.
Zeigen Sie es mir! Bitte! Ellies Stimme klang schwach und heiser.
Ich zeige es Ihnen. In die Hand gebe ich es Ihnen nicht, Sie wären
fähig und zerkauen es.
Ich habe mein Lebtag noch kein Foto zerkaut, seien Sie nicht
kindisch!
Perec tat ihr den Gefallen und zeigte ihr das Bild. Ellie machte
große Augen.
Sie hatte mordswunderwas erwartet – aber das, das war das offizielle
Hochzeitsfoto, Blanche in Weiß mit dem üblichen Blumenstrauß, was sollte daran
anstößig sein?
Naja, meinte Perec, das ist vielleicht nicht anstößig, bemerkenswert
ist es in jedem Fall. Pierre hat nämlich mit einer Schere, und nicht sehr
sorgfältig, wahrscheinlich in Wut, die linke Hälfte des Bildes weggeschnitten.
Er wollte Blanche für sich haben und nicht ständig die Fresse seines Rivalen
sehen müssen, Verzeihung, Madame, wenn ich mich etwas grob ausdrücke. Er hat
Xavier weggeschnitten ,
erst aus dem Foto, dann aus dem Leben.
Ellie schüttelte den Kopf und sah zu Boden. Etwas merkwürdig war das
schon. Fast unheimlich. Ihr war schlecht und sie bat, zur Toilette gehen zu
dürfen. Ferner wolle sie keine weitere Aussage machen und sich erst mit einem
Anwalt beraten.
Natürlich. Das ist Ihr gutes Recht, Madame. Sie dürfen sowohl zur
Toilette wie auch nach Hause gehen. Ihr Gatte muß leider für heute hierbleiben.
Perec war in seinem Element. Nun würde er sich Blanche vornehmen.
Der Rest war ein Klacks, eine Sache der Technik.
Der Richter Courbevois unterschrieb noch am Abend den Haftbefehl für
Pierre Geising, ohne sich erneut mit Details der Strafsache zu befassen.
Blanche wurde in ihrer Wohnung festgenommen, aber erst am nächsten Tag verhört.
Eine Nacht in der Zelle würde zusätzliche Motivationshilfe sein und nicht ohne
Wirkung bleiben.
Im Monbijou saßen Ellie, Max und Karl zusammen und verdauten
das Geschehene. Die Brüder waren von der Durchsuchung der Büroräume überrascht
worden. Hinterher hatten sie das zurückgelassene Chaos aufgeräumt und sich Gedanken
gemacht. Bevor Ellie ihnen die Einzelheiten schilderte, waren sie noch der
Meinung gewesen, die Aktion sei aufgrund der schwarz vermieteten Zimmer
erfolgt. Karl nahm das Ganze arg mit, er nannte die Verhaftung lächerlich, die
angeblichen Beweise fadenscheinig. Als Ellie von dem zerschnittenen Foto
erzählte, zuckte Max kurz, als säße ihm eine Mücke im Nacken, er räusperte sich
und wollte etwas sagen, verwarf es aber wieder.
Wir müssen einen guten, einen fähigen Anwalt finden, verkündete
statt dessen Karl. Auch wenn ich glaube, daß diese Anklage auf tönernen Füßen
steht und auf Dauer durch nichts zu halten sein wird, braucht Pierre den
bestmöglichen Rechtsbeistand.
Max und Ellie nickten ihr Einverständnis. Auf hoher See und vor
Gericht, sagte Ellie, darf nicht gespart werden. Selbst wenn er es getan hat, soll
er deswegen keine Nacht unnötig im Gefängnis verbringen.
Die Brüder sahen sie verdutzt an. Ob sie ernsthaft daran glaube,
fragte Karl, daß Pierre zu so etwas fähig sei?
Nein, eigentlich nicht, antwortete Ellie. Jenes eingestreute eigentlich hinterließ eine gewisse Wirkung. Max verfiel ins Grübeln, und Karl sah sich
herausgefordert, noch einmal laut hinauszurufen, daß das doch absurd sei.
Albern und absurd!
Max hätte ihn beinahe gefragt, was ihn so sicher mache, so absolut
und unangreifbar sicher. Er verschob es auf später.
Lange und sorgfältig besprachen die drei, was nun getan werden
müsse, um den Hotelbetrieb aufrechtzuerhalten. Max, der vorgab, mit seinem
Roman in Beschlag genommen zu sein, bat Karl darum, an der Universität
kürzerzutreten und nötigenfalls ein Semester zu opfern. Der Pflicht zuliebe.
Karl reagierte wenig begeistert und äußerte Zweifel, ob dieser ominöse Roman
wertvoller sei als ein schneller Abschluß seines Studiums. Zuletzt gab er nach
und ordnete seine individuellen Pläne der Familie unter.
Die Aufgaben wurden verteilt. Obwohl der Anlaß deprimierend war,
genossen insgeheim alle drei den Adrenalinschub jener besonderen
Ausnahmesituation. Sie rechneten damit, daß Pierre mit der Hilfe eines rigiden
Advokaten binnen weniger Tage, ja Stunden freikommen würde, zumindest auf
Kaution. Diese Hoffnung zerschlug sich alsbald.
Jean-Christophe Amirault, ein erfahrener, auf Kapitalverbrechen
spezialisierter Spitzenanwalt, der erst noch gelacht und verkündet hatte, kein
Gericht der Welt würde sich von solch windigen Indizien beeindruckt zeigen,
ruderte zurück.
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