Nicht ganz schlechte Menschen
zum Tode
verurteilt, der, eines einzelnen Mordes schuldig, sofort geständig war.
Perec log, aber so eine Lüge roch nicht, sie war statthaft und gut
gemeint.
Wovon reden Sie bitte?
Perec kannte das. Gerade in den ausweglosesten Situationen pflegten
sich Täter stur zu stellen. Ein letztes Aufbäumen. Vor dem Einknicken. Waren
sie sich ihres Schicksals endlich bewußt geworden, dann erst – zu spät – wurden
sie zu Händlern, die jedem Basar zur Ehre gereichten.
Ein noch sehr junger Mann betrat das Zimmer und bat Perec
ans Telefon.
Der Lieutenant wollte zuerst abwinken, dann bequemte er sich doch
dazu, den Anruf entgegenzunehmen. Die Durchsuchung der Wohnung in der Rue
Gabrielle hatte nichts erbracht. Die in den Büroräumen des Monbijou sehr wohl. Es sei
ein verdachterregendes Foto gefunden worden, in einer Schreibtischschublade.
Perec ordnete an, daß es sofort herbeigeschafft werden solle. Die Zeit bis
dahin wollte er lieber mit Ellie verbringen und Pierre ein wenig schmoren
lassen.
Ellie jedoch zeigte auf eine Unterhaltung keine Lust. Er
verstand das. Es galt nun, ihr mit taktvollen Worten begreiflich zu machen, daß
es keinen Sinn hatte, länger in Nibelungentreue zu ihrem Ehemann zu stehen.
Pierre sei kein sittlich tiefstehendes Subjekt, er sei aber ein Mann – und wie
alle Männer von ständigen Versuchungen umzingelt. Ein Geständnis vorausgesetzt,
gebe es etliche mildernde Umstände, die anzuführen seien. Pierre habe die Ehre
einer werdenden Mutter verteidigt, die sehr wahrscheinlich sein eigenes Kind ausgetragen
habe, bevor sie gedemütigt und geschlagen wurde und eine Fehlgeburt erlitt.
Jedes Gericht dieser Welt würde das berücksichtigen. Ellie hörte stumm zu und
versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Pierre, so verstand sie Perec,
sollte mit Blanche, diesem tumben, fischigen Fräulein, eine Beziehung
unterhalten haben? Und Zanoussi angeworben haben, Xavier zu ermorden? Was für
ein Humbug! Doch sobald ihr klar wurde, worin die Anklage bestand, begann sie
auch darüber nachzudenken. In einem natürlichen Reflex, unterstützt von einem
genetisch bedingten tiefpreußischen Obrigkeitsrespekt, spielte sie die
Möglichkeit immerhin zum ersten Mal durch, wie man sich auch gegen das
Unwahrscheinlichste wappnen will, indem man es in einer hypothetischen Realität
einmal schaulaufen läßt. Plötzlich war sie sich gar nicht mehr zu hundert,
sondern nur noch zu neunundneunzig Prozent sicher, daß hier ein krudes
Mißverständnis vorlag.
Es stimmte ja, sie hatte Pierre über einen langen Zeitraum sexuell
beinahe verhungern lassen, und üblicherweise greifen solch darbende Männer nach
jedem Strohhalm. Und hatte nicht sie selbst einmal den Verdacht gehegt, Pierre
und Zanoussi könnten mit Chapelles Verschwinden etwas zu tun haben? Das alles
ergab mehr Sinn, als ihr lieb war. Perec, ein alter, erfahrener Beamter, würde
sich bestimmt nicht grundlos derart weit vorwagen. Schien das möglich?
Während ihrer langen Laufbahn im Milieu hatte Ellie auf oft
schmerzhafte Weise lernen müssen, daß einfach alles möglich war, ob
wahrscheinlich oder nicht. Schon begann in ihr ein erster Zorn auf Pierre zu
keimen. Immer neuer, ekelhafter Sinn lugte hinter seinen Entscheidungen hervor.
Zum Beispiel, als es ihm nicht recht gewesen war, die blöde Antisemitin , wie er
sie nannte, wieder im Monbijou zu beschäftigen. Vielleicht scheute er Blanches
Nähe, um weniger Furcht haben zu müssen, daß die Affäre entdeckt würde. Ellie
wußte bald gar nicht mehr, was sie noch denken sollte, wo doch alles Denken in
finstere Keller und Verschläge führte, die zuvor nicht existiert hatten.
Also schwieg sie, völlig verunsichert, während Perec ihr ständig
neues Gift einflößte.
Sie habe die Verpflichtung, sagte er, beinahe beschwörend, sich am
eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, statt sich sinnlos an jemanden zu
klammern, der bestimmt war, darin unterzugehen.
Es wurde an die Tür geklopft. Das mögliche Beweisstück sei
eingetroffen, raunte der junge Mann Perec ins Ohr. Der in diesem Moment seinen
Beruf erregender fand als jedwede sonstige Form von Sexualität.
Bringen Sie es herein.
Der junge Mann steckte ihm ein Foto zu, Perec betrachtete es und
schmunzelte zufrieden.
Er betrachtete es so lange, bis Ellie um jeden Preis der Welt wissen
wollte, was er da in der Hand hielt.
Ein Foto von Blanche. Aus dem Schreibtisch ihres Mannes. Ein
wunderschönes Foto, wenn ich das bemerken darf. Sie hat sich aber
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