Nicht ganz schlechte Menschen
an, aber der Künstler möge bitte, wie alle
Beteiligten, die Hälfte seiner Gage der antifaschistischen Hilfe spenden.
Erstaunlich viele Künstler sagten nein, die antifaschistische Hilfe greife bei
ihnen direkt am besten. In den anderen Fällen wanderte das Geld in den Fonds
zur Unterstützung deutscher Emigranten im Hotel Monbijou , Paris.
Ellie bekam deswegen kein schlechtes Gewissen. Sie hatte in ihrem ehemaligen
Beruf genügend Abwehrkräfte entwickelt.
Max steuerte in seinem Roman langsam dem zweiten von drei
Höhepunkten entgegen, der mit einer wilden nächtlichen Verfolgungsjagd im
Rotlichtmilieu endete. Einer seiner Antihelden wurde dabei durch einen ganz
unglücklichen Zufall geschnappt und sollte nun seine Komplizen verraten,
schleuderte dem sadistischen Kommissar aber nur Verachtung entgegen. Hier
konnte Max die reale Situation seines Verhörs durch Perec literarisch
verarbeiten. Wie er seinen Helden aus den Fängen der Justiz wieder befreien
wollte, wußte er noch nicht. Ihm hatte die dramatische Flucht aus einem
Gefangenentransport vorgeschwebt, indes schien das – für eine intelligente
Figur, einen Geistesmenschen – zu rabiat und grobschlächtig. Es mußte eine
elegantere Lösung geben. Der Roman geriet ins Stocken. Vielleicht, dachte Max,
habe ich mich verrannt. Vielleicht war schon die Tonart und die Metronomangabe
des Textes, wenn man so sagen konnte, falsch gewählt. Zu feurig, zu fiebrig.
Derlei konnte sich schnell den Vorwurf der Trivialität einfangen. Max machte
eine niederschmetternde Erfahrung. Irgend etwas war auf den letzten fünfzig
Seiten gravierend schiefgelaufen. Je länger er darüber nachdachte, um so
nötiger erschien ihm bald eine Aktion, die ihn enorme Überwindung kostete und
mit einer Eigenamputation passend zu vergleichen war. Wie der Wolf sich eine
Pfote abbeißen muß, um dem Fangeisen zu entgehen und seine Freiheit
wiederzugewinnen, hielt Max es für nötig, die letzten Kapitel seines Romans zu
verfeuern. Das tat er denn auch, in aller gebotenen Feierlichkeit. Sämtliche
gelungenen, in anderem Kontext wiederverwendbaren Sätze hatte er zuvor
extrahiert.
Lieutenant Perec ließ sich von Albert Gerard den
Zweitschlüssel zu Blanches Wohnung aushändigen. Sobald Blanche die Straße
betrat, um Einkäufe zu tätigen, wühlte Perec in ihren Schubladen und Kleinodien
herum, auf der Suche nach Belastungsmaterial. Ein solches Verhalten fand er
nicht anstößig, weil durch Gerichtsbeschluß einigermaßen gedeckt. Der Begriff
Hausdurchsuchung war schließlich Auslegungssache. Perec fand dies und das,
darunter intimste Zeugnisse einer überstandenen Liebe. Briefe, in denen Xavier
Chapelle sich noch Mühe gegeben hatte, Eindruck auf seine künftige Braut zu
machen. Herzzerreißende, rückwirkend irgendwie auch lächerliche Dokumente, mit
denen ein älterer Mann eine sehr viel jüngere Weibsperson an sich zu binden
trachtete.
So gründlich Perec auch suchte – der Nachweis einer Beziehung von
Blanche Chapelle zu Pierre Geising war nicht zu erbringen. Die beiden hatten
sich anscheinend extrem vorsichtig verhalten. Als hätten sie von Anfang an
gewußt, welches Verbrechen sie planten.
Eine weitere Woche verging, bevor Perec der Geduldsfaden
riß. Er wendete einen Doppelbluff an, der nur zur Hälfte funktionieren mußte,
damit etwas ins Rollen kam.
Am 12. Mai, nachmittags um drei Uhr, fanden endlich die
Durchsuchungen der Büroräume des Monbijou und der Wohnung in der Rue Gabrielle statt.
Zeitgleich waren Pierre und Ellie Geising für eine Zeugenaussage ins
Polizeipräsidium gebeten worden, eine Zeugenaussage, nichts weiter, sie sollten
sich in Sicherheit wiegen. Nun wurden sie in getrennten Räumen abwechselnd
verhört, wobei Perec sich zuerst an Pierre wandte und ihm auf den Kopf zusagte,
daß er Blanche Chapelle Geld geliehen habe.
Der Kriminaler hatte mit vielem gerechnet, nicht aber damit, daß
Pierre diesen Sachverhalt sofort bestätigte. Ja, er habe Blanche Geld gegeben,
und? Sei das verboten?
Perec staunte, es verschlug ihm für einen Moment die Sprache.
Warum? Weswegen haben Sie ihr denn Geld gegeben?
Sie hat doch nichts mehr. Man muß ihr doch helfen.
Ach ja, ich vergaß, Sie sind der gute Samariter, natürlich.
Pierre senkte ein wenig den Kopf und meinte, so ein guter Mensch sei
er eigentlich nicht. Das habe sich vielmehr ergeben, weil, naja –
Blanche Ihre Geliebte war?
Wie bitte? Pierre lachte laut.
Wollen Sie das leugnen?
Und ob. Ich hab ihr das Geld auch
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