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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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nicht aus persönlicher Sympathie
gegeben. Im Gegenteil.
    Aha? Sie wollen sagen, es war Schweigegeld ? Blanche hat
Sie erpresst?
    Pierre sagte erstmal nichts. Er musterte Perec wie einen Verrückten.
Dann meinte er, selten eine so bodenlose Unterstellung gehört zu haben. Seine
Frau könne sehr wahrscheinlich für Aufklärung sorgen. Von ihr sei das alles ja
ausgegangen.
    Perec blinzelte ungläubig. Ihre Frau weiß davon?
    Natürlich. Ich habe keinerlei Geheimnisse vor ihr. Fragen Sie sie!
    Perec war aus dem Konzept, er verließ den Raum, rauchte
eine Zigarette, nahm vor Ungeduld nur drei Züge und konfrontierte Ellie mit der
Aussage ihres Gatten. Ellie verhielt sich reizend wie immer und bestätigte
Pierres Angaben. Es sei nämlich so gewesen: Anfang Februar habe Blanche sich
schriftlich bei ihr entschuldigt. Ihr tue leid, was sie gesagt habe, sie wisse
nicht mehr weiter und bitte darum, entweder wieder im Hotel arbeiten zu dürfen
oder ein Zeugnis zu bekommen, damit sie sich anderswo um eine Stelle bewerben
könne.
    Ellie, vielleicht, weil sie von Blanche als Jüdin beschimpft worden
war, wollte wie eine gute Christin reagieren und die mittellose Frau erneut als
Zimmermädchen beschäftigen. Pierre indes sei skeptisch, mehr als skeptisch
gewesen. So etwas bedeute nur neuen Ärger. Ihm ging Ellies Menschenliebe zu
weit. Eine Antisemitin unter seinem Dach zu beherbergen, war für seinen
Geschmack zuviel an edlem Trieb. Es kam zum Streit. Pierre setzte sich durch
mit dem Argument, daß er dieses Hotel leiten würde, es also einzig ihm oblag,
wen er einstellen würde und wen nicht.
    So war das, mon général . Wenigstens habe ich Pierre dazu bringen
können, die Miete für Blanches Wohnung auf ein halbes Jahr hin zu bezahlen.
    Ach so.
    Perec brauchte eine Weile, um sich das alles durch den Kopf gehen zu
lassen. Ellie, dachte er, ist schon eine fabelhafte Frau. Froh der Mann, der
sie an seiner Seite weiß. Und verflucht der Hundsfott, der dennoch zu einer
anderen geht. So war das also. Die beiden hatten alle Vorwürfe antizipiert und
sich gemeinschaftlich eine Geschichte zurechtgelegt. Was für eine
bewundernswerte Liebe. Was für ein verabscheuungswürdiger Abgrund.
    Perec ertappte sich bei einem leichten Zittern, das er verbergen
wollte, indem er an seinen Jackettknöpfen spielte.
    Verehrte Madame
Geising. Glauben Sie mir, ich habe hier schon Menschen aller Art erlebt.
Menschen mit netten Gesichtern und schwärzesten Seelen. Menschen mit finsteren
Gesichtern und kindlichen Seelen. Manchmal auch unschuldige, gutherzige
Menschen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, den wüstesten Verbrechern
verbunden fühlten. Eines habe ich dabei gelernt: Die Phantasie unserer Spezies
ist unerschöpflich. Ich habe mit Menschen gesprochen, aus denen große
Schriftsteller hätten werden können, hätten sie je schreiben und lesen
gelernt. Eins aber war all diesen Geschichten und Ausflüchten gemeinsam: die
Lüge. Die Wahrheit, wissen Sie, riecht nach nichts . Sie wirkt locker
und selbstverständlich, nicht geziert, nicht konstruiert. Meine Nase müßte
dereinst im Museum für Paläontologie eine Vitrine bekommen. Es gibt den Fall,
daß gute Menschen lügen und nicht etwa zu schlechten Menschen werden, denn sie
haben einen zu guten Grund für ihre Lüge. Und Ihr Grund, liebe Ellie,
ist bewunderungswürdig. Kurzum: Ich habe jedes Verständnis dafür, daß Sie Ihren
Gatten da irgendwie raushauen wollen. Aber Sie müßten sich schon eine
glaubhaftere Geschichte ausdenken.
    Ellie reagierte nicht so beeindruckt wie erhofft, eher sogar
störrisch und uneinsichtig.
    Moment! Entschuldigung, zu welchem Kokolores versteigen Sie sich?
    Das wissen Sie doch ganz genau.
    Von wegen! Rücken Sie mal raus mit der Sprache!
    Perec wurde erneut unsicher. Vielleicht war Ellie so nichtsahnend,
wie sie tat, und Pierre hatte ihr sein Verhältnis mit Blanche verschwiegen? Das
war möglich und denkbar. Und nichts wäre Perec im Grunde lieber gewesen. Es
schüttelte ihn bei dem Gedanken, daß Ellie am Ende aufgrund einer wissentlichen
Falschaussage hinter Gittern landen würde.
    Perec beschloß, aufs Ganze zu gehen und begab sich ins Verhörzimmer
Nummer Zwei, wo Pierre geduldig wartete.
    Eben habe ich mit Ihrer Frau gesprochen, Monsieur Geising.
Sie hat mir alles gesagt. Es hat keinen Zweck mehr zu leugnen. Der Fall ist
klar.
    Inwiefern?
    Darf ich Ihnen ein Faktum nahelegen?
    Da bin ich gespannt.
    In Frankreich wurde in den letzten zwanzig Jahren niemand

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