Nicht ganz schlechte Menschen
im aktiven
Kampf. (Wie viele Vorurteile gegen Frauen, die Gewehre tragen, mußten die
Männer hier beschämt zurücknehmen!) Es war Caridad Mercader, die in ihrer
Klugheit entschied, den gefangenen General Goded nicht sofort erschießen zu
lassen, sondern ihn zu zwingen, seine Niederlage per landesweit übertragener
Rundfunkansprache einzugestehen. Das ist für viele Städte Spaniens sehr wichtig
und hilfreich gewesen. Das weibliche Geschlecht feiert sein endgültiges
politisches Erwachen, seinen Ausbruch aus überkommenem Rollendenken, und ganz
Barcelona befindet sich in einem Zustand flimmernden Selbstbewußtseins. Die
Ekstase überträgt sich unmittelbar auf jeden Zeugen des Geschehens. Hier wird
Geschichte geschrieben, ein Geist von lustvoller Pflichterfüllung reißt alle
mit, jeder sucht und findet zumeist seinen Platz, an dem er von Nutzen sein kann.
Nehmen wir zum Beispiel Ines Rodrigo, die Frau, bei der ich zur Untermiete
wohne. Sie ging einmal, vor ihrer Befreiung, dem ältesten Gewerbe der Welt
nach, von Armut und Arbeitslosigkeit dazu gezwungen. Nun steht sie morgens um
sechs Uhr auf, um den Fischern am Hafen etwas abzuverhandeln, das sie mir am
Mittag kredenzen kann. Steht Schlange für Kartoffeln und Gemüse, denn ich, als
Sportler jener leider nicht zustande gekommenen Olimpiada Popular sowie als
Korrespondent der Pariser Tageszeitung im Krisengebiet, bin ihr Held.
Die Brotzuteilung funktioniert exzellent – aber welcher Mensch
will allein vom Brot satt werden? Ines Rodrigo veredelt mein Leben, sie weiß,
in welcher Straße es den günstigsten Tabak zu kaufen gibt und welchen
Spekulanten man besser aus dem Weg geht.
Sie tut mir soviel Gutes, als sei ich ihr Sohn, ohne daß ich
etwa ein sehr lukrativer Gast wäre, nein, das bin ich leider nicht. Ich hege
ihr gegenüber ein Schuldgefühl und möchte ihren Namen preisen, als einer von so
vielen leider meist namenlos bleibenden Frauen, die durch ihr selbstloses
Engagement dem glorreichen Geschehen hierzulande zu einer noch menschlicheren
Note verhelfen. Wer will bigott, aus preiswerten Vorurteilen heraus, Ines
Rodrigo als gefallene Frau beschimpfen? Nur Schufte könnten das tun, deren
Denken von dummen Vorurteilen geprägt und verstellt ist. Doch Barcelona, wie
ich es erlebe, widerspricht allen Klischees und gängigen Vorstellungen, nichts
ist mehr so, wie es einmal war, die Vergangenheit geht, wenn überhaupt, als ein
Gespenst um, das seinen Frieden gefunden hat und sich in aktuelle Geschehnisse
nicht mehr einmischen will. Ja, wir leben in einer großen Zeit, die uns prüft.
Wir müssen und werden diese Prüfung siegreich bestehen.
Daß die schon legendäre Kommunistin Dolores Ibarruri
Gomez, volkstümlich La Pasionaria (Die Passionsblume) genannt, einem
Faschisten die Kehle durchgebissen haben sollte, ließ Karl unerwähnt.
Lobenswert und beeindruckend sei das vielleicht gewesen, aber vor allem auch
unappetitlich, meinte Ines. Er las ihr den Artikel in gebrochenem, stark
fehlerhaftem Spanisch vor. Ihr Leben habe, sagte sie, an Sinn entscheidend
gewonnen. Gemeinsam brachten sie den Umschlag zur Post.
Eine Empfangsbestätigung, geschweige denn Antwort, erhielt
Karl nie, nahm aber wie selbstverständlich an, daß der Artikel in Druck
gegangen sei und man ihm das fällige Honorar eines fernen Tages ausbezahlen
werde. Wirklich erreichte der Artikel zwar seinen vorgesehenen Empfänger,
Marius Müller, der aber schmiß ihn kopfschüttelnd in den Papierkorb. Wie konnte
Karl Loewe damit prahlen, bei einer ehemaligen Prostituierten zu wohnen, die
sich morgens angeblich für ihn die Beine in den Leib stand? Der Leser würde
bestimmt ganz andere Schlüsse ziehen. Warum war Loewe nicht selbst an die Front
gegangen? In diesem zusammengeschusterten Artikel war alles in Bewegung, nur
der Erzähler nicht. Offizielle Lesart war zudem, daß es in Barcelona eine große
Auswahl an Lebensmitteln gab. Keine Spekulanten . Wie konnte Loewe sich dreist zum Korrespondenten der
Pariser Tageszeitung erklären? Amtsanmaßung war das. Und dieser
abgedroschen pathetische Tonfall! Der völlig mißglückte Absatz über das
Gespenst der Vergangenheit! Nein, der Text war Müll. Ließ man die Nutte weg,
blieb nur das übliche Gewäsch.
Max trieb sich tagsüber wieder in einschlägigen Clubs
herum, wo ältere Herren ihm gerne etwas spendierten. Selten sagte er nein, und
fast regelmäßig war er schon vor dem Abend angetrunken. Eines späten
Nachmittags kam jemand in die Cosy-Bar,
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