Nicht ganz schlechte Menschen
dessen Gesicht Max sofort
wiedererkannte. Das war Serge, der Kammerdiener des Marquis de Paulignac, ein
dürrer, schlaksiger Mensch von sehr steifen Manieren. Durch ihn war damals, auf
die genau gleiche Art, der Kontakt zum Marquis zustande gekommen. Raymond hätte
es, als Person des öffentlichen Interesses, selbstverständlich nie wagen
können, ein solch verrufenes Etablissement zu betreten. Serge, der etwa fünfzig
Jahre alte, glatzköpfige Mensch, den aufgrund seiner Nase beinahe jeder
(fälschlicherweise) für einen Juden hielt, hob erfreut die Brauen, als er Max
erkannte und zu sich winkte. Er habe eine Botschaft des Marquis zu überbringen,
aber bitte nicht hier.
Sie unterhielten sich auf der Straße, wie damals, als Max das
Angebot offeriert wurde, allmorgendlich die Huskies auszuführen.
Ich habe Sie bereits gesucht, sagte Serge mit seiner hohen, fast
weiblichen Stimme. Der Marquis bitte um ein Treffen, es sei wichtig und
dringend. Der Kammerdiener, der sich selbst lieber als Butler bezeichnete,
steckte Max ein Kuvert zu, als kleine Aufwandsentschädigung, und schlug ein
Treffen im Bois de Boulogne vor, morgen um 12 Uhr, nahe der U -Bahn-Station Porte Dauphine. Max hatte nichts Besseres
vor und sagte zu. Im Kuvert befanden sich 500 Francs. Sorgenfrei und neugierig
zu sein, fand Max eine berauschende Kombination.
Eines Nachmittags brachte Ines von ihren Besorgungsgängen
einen Mann mit nach Hause, offensichtlich einen Matrosen. Ein großer,
braungebrannter Kerl mit ölverschmierter Hose und grimmigem Blick. Sie ging mit
ihm in die kleine Kammer, in der ihre Matratze lag, und sperrte von innen ab.
Karl, der im anderen, größeren Zimmer residierte, in dem auch die Küchenzeile,
zwei Kleiderschränke und ein Wäscheständer untergebracht waren, bekam Geräusche
zu hören, die an Eindeutigkeit nicht zu überbieten waren. Anscheinend wurde die
Prostitution wieder geduldet, stillschweigend.
Viele
Huren waren nach ihrer ›Befreiung‹ den Milizen an die Aragon-Front gefolgt, wo
sie venerische Krankheiten verbreiteten und oft größere Verluste verursachten
als das feindliche Artilleriefeuer.
Und selbst wenn nicht – er hätte Ines keinen Vorwurf
gemacht. Sie mußte von irgend etwas leben – und Karl gab ihr pro Tag kaum mehr
als umgerechnet drei, vier Francs. Er hatte geglaubt, daß Ines in ihn verliebt
sei, so sehr vergötterte und umsorgte sie ihn. Umgekehrt empfand er nur
Freundschaft und Dankbarkeit. Deswegen auch keine wirkliche Eifersucht.
Eigentlich war er froh gewesen, daß sie ihm nie ihren Körper angeboten hatte,
wenn er auch tagtäglich mit diesem Angebot gerechnet hatte. Und sich etwas
wunderte, weil es so gar nicht dazu kommen wollte. Ines war eine dralle,
kurvenreiche Frau mit großen Brüsten und herben Gesichtszügen. Nichts, was im
Normalfall Karls Interesse erregt hätte. Aber das hier war der Krieg, nicht der
Normalfall, und manchmal geriet sogar der sehr beherrschte Karl unter den
Einfluß ganz natürlicher Gelüste.
Der braungebrannte Matrose verließ die Wohnung nach nur zwanzig
Minuten. Sein grimmiger Blick, in Wahrheit nur falsch interpretierte Verlegenheit,
war einem breiten Lächeln gewichen.
Hat er dich gut behandelt? Fragte Karl.
Ich hab ihn gut
behandelt, antwortete Ines. Stört es dich?
Nein. Wahrscheinlich denkt er jetzt, daß ich dein Zuhälter bin.
Du bist aber nicht mein Zuhälter. Du bist mein Gast.
Und ich weiß das zu schätzen.
Einmal
sprach ihn ein sehr alter Mann aus der Nachbarschaft an. Karl verstand kaum ein
Wort, denn der Greis sprach derbstes Català und hielt es wohl für unter seiner
Würde, zum Hochspanisch zu wechseln. Ines sei schon eine Carajo Mujer ,
soviel glaubte Karl zu verstehen, und er nickte beflissen, eine tolle Frau,
zweifellos.
Um
12 Uhr mittags wartete der Marquis am Rande des Bois auf einer Parkbank.
Max setzte sich neben ihn, grußlos, als könnten sie beobachtet werden. Raymond
sah blass aus, stark gealtert, beinahe senil, und seine Hände zitterten. Wie
war’s denn in Berlin? Fragte Max und steckte sich eine Zigarette an.
Ach bitte, könntest du aufs Rauchen verzichten, ja? Ich war nicht in
Berlin.
Nein? Max zog sein Taschenmesser, kappte die Glut von der Zigarette
und schob sie zurück in die Schachtel.
Nein, das war mir leider nicht vergönnt.
Der Marquis flüsterte; es machte Mühe, ihm zuzuhören.
Nicht er, Raymond de Paulignac, sondern sein Cousin zweiten Grades,
Melchior de Polignac, der Grund für die
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