Nicht ganz schlechte Menschen
Glocken. Seine Gedanken verliefen im Kreis. Diese
herrlich anzuschauende Kirche. Was war dafür an Affenarbeit nötig gewesen? Und
nun – nicht nur Schönheit, sondern Hauptquartier der Affenpfaffen. Würde es dem
Kommunismus gelingen, erst einmal den Aberglauben zu beseitigen, wäre er ja
sogar zu etwas nutze, dann könnte man darauf aufbauen. Viel Kreativität, aber
auch fast alle Probleme der denkenden Tiere resultierten aus der Weigerung, die
eigene Sterblichkeit zu akzeptieren. Absurde Konstrukte, darunter sämtliche
Religionen, versprachen dem leidenden, beleidigten Tier ein Weiterleben im
himmlischen Jenseits. Max hätte sich ob dieses Nonsens amüsiert, wäre ihm nicht
immer wieder bewußt geworden, wie groß der Bedarf an Jenseits, an irgendeiner
postmortalen Aussicht war, nicht nur beim Sklavenvolk der Affen, selbst unter
zirkelschlußfähigen Menschen. Erschütternd wirkte geradezu, wie sogar ganz
nichtsnutzige Entitäten von einem Weiterleben träumten, als seien sie mit diesem
einen Leben nicht schon genug beschenkt.
Dauernd mußte er an Adolf Hitler denken und wie gerne er mit ihm
tauschen würde. Reichskanzler und Führer, niemandem verpflichtet, alleiniger
Entscheidungsträger, mit allem denkbaren Spielraum, das wäre eine Position, um
sofort konkret zu werden. Er war so neidisch auf diesen Mann, der von der
Geschichte, vom Glück, vom Schicksal, vom Abschaum, wovon auch immer, an einen
Platz gespült worden war, der doch viel besser einem wie ihm, Max, gebührt
hätte. Was würde man alles anordnen können? Ein Verbot totalitärer Parteien.
Zwangsbildung für alle, und im Alter oder bei Krankheit eine staatliche
Grundversorgung. Später, wenn die notwendigsten diktatorischen Maßnahmen
gegriffen hatten, eine Demokratie, aber ohne Parteien, mit direkt gewählten
Politikern, Persönlichkeiten, die sich vorher in anderen Bereichen bewährt
hatten. Keine Berufspolitiker und pure Rhetoriker. Wahlrecht nur für die
Intelligenz (ab nachgewiesenem IQ von über 130).
Schließung der Kirchen oder Umfunktionierung zu Kulturstätten (Konzertsälen,
Bibliotheken etc.). Enteignung des Klerus und der Superreichen. Abschaffung der
Todesstrafe und der Wehrpflicht. Eine kompakte Berufsarmee, vielleicht, für den
Moment, zur Sicherung des Status quo, aber irgendwann ein vereintes Europa und
dann, in ferner Zukunft – der Weltstaat, der sorglos jedwede Finanzmittel in
die Bekämpfung der Armut, in die Förderung der Kunst und der Wissenschaften
stecken konnte, bis die Menschheit endlich ihr erbärmliches Niveau entscheidend
anheben, sich nach oben schrauben würde, dem Licht entgegen.
Anders als ein von Lobbies und Wählerstimmen abhängiger Demokrat,
verfügte ein Diktator über die Macht, einige dieser Programmpunkte sofort in
die Wirklichkeit umzusetzen. Um am effektivsten etwas zu verändern, hätte man
sich bislang genau wie Adolf Hitler verhalten müssen? Interessant. Doch auch
sehr merkwürdig.
Jemand wie Max konnte höchstens Vorschläge unterbreiten. Aber wem –
und wie? Womit? Schön, selbstverständlich blieb ihm der Weg, ein Buch zu
schreiben, wie so viele andere es taten, im Glauben, dem Ziel damit einen
Zentimeter näherzukommen. Vielleicht war das kein völliger Unfug und jeder
Zentimeter ein von Sportschiedsrichtern meßbarer Fortschritt. Aber im Grunde
stand doch alles schon da, schwarz auf weiß, auf Papier, hunderttausendfach
gedruckt, und zehnmal besser geschrieben, als es ihm je möglich sein würde.
Manchmal dachte Max, daß man mit Hitler auf irgendeine Weise ins
Gespräch kommen müßte. Im Licht der Olympiade hatte der eine fast versöhnliche
Figur abgegeben. Hatte seinen Willen zum Frieden, zur Völkerverständigung
bekundet. Selbst seinen Antisemitismus hatte er relativiert. Vielleicht war er
lernfähig. Ob er Nietzsche je gelesen hatte? Interessante Frage. Am 24. August
mußte Max in der Zeitung lesen, daß der Wehrdienst in Deutschland auf zwei
Jahre verlängert wurde. Das, fand er, sei nicht nur ein Verbrechen am jungen
Menschen, das sei der Auftakt für ein viel größeres Verbrechen, den Krieg.
Zur selben Zeit begann in Moskau der erste Schauprozeß,
mit dem der andere große Diktator, Stalin, sich seiner vermeintlichen
Widersacher entledigte. Die Zeitungen berichteten darüber nur zaghaft, wie über
eine innere, undurchschaubare Angelegenheit, die man aus der Ferne nicht
beurteilen könne oder wolle. Aber es gab einige vor allem jüngere Kommunisten,
die die Tragweite des
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