Nicht ohne Beruf (German Edition)
ich auch nicht, wegen der Schule, denn sie wohnten zu abgelegen.
Ich weiß gar nicht, wie Gretel es gemeistert hat, in ihrem Bekanntenkreis eine Pfleg estelle für mich zu finden, und ich erinnere mich auch nicht, wie wir dort hingekommen sind.
Eines Tages war ich in Conratsdorf , etwas von Freiberg entfernt, so zu sagen in Pflege bei einem Ehepaar mit einem kleinen Landwirtschaftsbetrieb. Ein dort angestelltes Mädchen kümmerte sich mehr um mich als das Ehepaar, das noch in der Stadt ein Geschäft betrieb.
An einer Bahnstation, die nur aus einem Wa rtehäuschen bestand, musste ich jeden Morgen die Bimmelbahn besteigen. Viele Kinder des Dorfes fuhren mit zur Schule nach Freiberg. Auf der Rückfahrt wurden dann meist schon die Schulaufgaben erledigt; denn bis wir das Dorf erreichten, war es schon recht spät.
Es ging dem Winter zu. Die Bahn wurde mit Kohlen beheizt.
Zwei Mädchen lernte ich während der täglichen Zugfahrten flüchtig kennen. Mein Vater hatte kurz nach dem Krieg auf dem Gut ihrer Eltern gearbeitet. In der Landwirtschaft wohl kaum! Angeschlossen war eine Schnapsbrennerei, wofür Kartoffeln verwendet wurden.
Unterdessen war dicker Schnee gefallen. Das Mädchen, das mich rechtzeitig hätte wecken sollen, damit ich mich zurecht machen und frühstücken konnte, hatte es verschlafen. Ich rannte los, aber ach, ich sah nur noch das Schlusslicht des Zuges! Mir blieb nichts anderes übrig, als mich über die verschneiten Feldwege, dazu steil bergauf, teils rutschend nach Freiberg durch zu kämpfen, um die Schule wohl und verspätet zu erreichen.
Es war für mich sehr unerfreulich!
Auch manch anderes Erlebnis im Haus schreckte mich ab. Schließlich klagte ich meiner Schwester mein Leid und gab zu verstehen, dass ich da nicht weiter bleiben würde.
Gretel hat nie mit mir darüber geredet, wie sie all die Sorgen um mich trug und Abhi lfe schaffte, auch ob sie mit unserem Vater in Verbindung stand. Er musste ja eigentlich für meinen Unterhalt und Unterbringung zahlen.
Ich weiß auch nicht, wie es kam, dass wir eines Tages vor dem Waisenhaus standen, lä uteten und ich dort Aufnahme fand.
Waisenhaus war wohl nicht ganz der ric htige Begriff, eher Kinderheim. Neben der Hausleiterin gab es noch drei Betreuerinnen oder Angestellte.
Dort fiel es mir nicht schwer, mich einz uleben, alles hatte seine Ordnung. Und das war nach dem chaotischen Conratsdorf angenehm. Wir waren auch gar nicht viele Kinder: in meinem Alter vier Mädchen und vier Jungen. Ansonsten noch Kleinkinder, auch Babys. Einige Kinder wurden sonntags von ihren Eltern zum Ausgang abgeholt.
Auch Babys von ledigen Müttern hatten wir im Heim, darunter ein süßes braunhä utiges, unsere Schokoladenpuppe.
Freiberg schätzte sich ja glücklich, die weltb erühmte Bergakademie zu haben. Aus allen Ländern kamen wissbegierige junge Männer. Manche Freundschaft zu einheimischen Mädchen wuchs und zeigte eben mitunter Früchte. Wie unser Baby, das einen ägyptischen Vater hatte. Die kleine Mama wusste nicht, wohin mit dem Baby. So kam es zu uns ins Heim.
Wir großen Mädchen halfen beim Füttern der Kleinen. Welch gutes Fresschen! Ma ncher Löffel landete leer im Babymund.
Ich war überhaupt immer nur hungrig.
Abends gab es meistens drei Doppelschnitten. Ich war damals mit 1,62 schon ganz schön groß. In der Schule beim Turnen, wo wir uns der Größe nach anstellen mussten, war ich meistens vorn. So angenehm war das nicht, denn man musste immer besonders aufmerksam sein.
Im Aufenthaltsraum, einem großen Saal, standen lange Tische und Bänke. Da ich schon zu groß war und nicht mehr in die kleinen Bänke passte, bekam ich meinen Extratisch, an dem ich auch meine Schu laufgaben erledigen konnte.
Eine große Terrasse führte vom Haus in einen großen Garten mit Turngeräten für die größeren Kinder und einem Sandka sten für die kleinen.
Zum Schlafen ging es ins Obergeschoss in einen Riesensaal mit Eisenbetten. Matra tzen gab es nicht, sondern Strohsäcke, die gut aufgelockert wurden. Das Bettenbauen wurde für uns Größere selbstverständlich.
Wer mal krank war, drückte den Stro hsack. Einmal hatte ich eine schön schillernde Fliege gefangen, die mich daraufhin in die Hand stach. Eine Entzündung mit bedenklich langem roten Streifen bis zur Achselhöhle war Anzeichen einer Blutvergiftung. Ins Bett wurde ich gesteckt und der Arm ruhig gestellt. Die ärztliche Betreuung war gut. Aus dem nahe gelegenen Krankenhaus kam entweder ein Arzt
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