Nicht ohne Beruf (German Edition)
war für mich der Dom zuständig.
Jedenfalls gab es da etwas zu verdienen.
Am Sonntagmorgen kostete es schon etwas Mühe, bis Mama mich wach kriegte. Doch Geld war wichtig! Wir sangesfreudigen Kinder gaben unter der Leitung eines Kantors einen guten Chor ab. Während der Predigt zogen wir uns still aus dem Blickfeld der Gemeinde und vertrieben uns auf der Bank neben der Orgel die Zeit mit Galgenraten und ähnlichen Spielen. – Durch Auftritte an Feiertagen erhöhte sich die Summe, die wir alle viertel Jahre ausgezahlt bekamen, auf ca. sieben RM. Mein Wunsch war eine Mandoline für zehn Mark. Den Rest konnte ich mir anderweitig verdienen.
So schickte mich eine Hausbewohnerin, die unter uns wohnte, zur Girobank, obwohl sie selbst eine Tochter Waltraud hatte, genauso alt wie ich,. Doch Waltraud war nicht allzu helle, um diese Wege zu gehen. Ich übernahm die Botendienste gern und bekam dafür meinen Lohn. - Zu Waltraud später mehr!
Nach einem solchen Gang bekam ich e twas ganz Edles, das ich zuvor nie gesehen hatte. Sie müssen gutbetuchte Verwandte in Amerika gehabt haben. Eines Tages wurde ihnen eine ganz schön umfangreiche Holzkiste gebracht. Was mögen da für köstliche Dinge drin gewesen sein? Jedenfalls auch dabei war ein „Schinken im Brotteig“! Wir, Mama und ich, durften uns an der um den Schinken gewickelten Brotrinde ein Gütchen tun.
Unser Vater hatte wohl auch eine Tante in Amerika. Viele Leute wanderten ja aus, um der Not zu entgehen. Vater schickte eine Art Bettelbrief; das bekam ich schon mit, bat um ein paar Dollar. Aber es blieb still, kein Brief, kein Dollar fand den Weg zu uns. Vater hätte es wahrscheinlich auch nur wieder für sich verbraucht!
Zurück zur Kirche: Nach dem Gottesdienst standen die gut gekleideten älteren Damen noch in Grüppchen vor der Kirche und palaverten. Auch streunende Hunde hatten da ihren Auslauf. Welcher Duft mochte ihnen wohl in die Nase gestiegen sein ? Sie beschnupperten manch langen Damenrock. Wir Kinder standen herum und hielten uns die Bäuche vor Lachen, als eines der Hündchen sein Beinchen hob und seine Duftnote hinterließ. Die Dame hatte nichts bemerkt, vielleicht trug sie mehrere Röcke übereinander, was ja Mode war. Ob sie sich zu Hause gefragt hat, wieso ihr Rock nass geworden war? Denn geregnet hatte es doch gar nicht.
Mama war von der Idee, eine Mandoline zu kaufen, nicht sehr angetan. Sie sagte, dass sie bald sterben würde und ich doch nicht spielen könnte. Überhaupt wollte sie oft vom Sterben reden. Einmal begann sie: „Wenn ich gesto rben bin …“.
Aber ich, noch keine 13 Jahre alt, unte rbrach sie: „Ach, Mama, red nicht vom Sterben!“
Wer weiß, was sie mir sagen wollte? Das bedrückt mich noch heute. Wenn ich jetzt dar über nachdenke, meine ich, sie wird das wohl alles mit meiner Schwester Gretel beredet haben.
Meine arme Mutter, so krank, konnte dann infolge des im Körper angesammelten Wassers nicht mehr liegen. Sie schlief im Sitzen. Es kam wohl immer mal eine Gemeindeschwester zu uns, bis dann eine die Einweisung ins Krankenhaus veranlasste. Meine Mama kam nie wieder nach Hause. Sie war knapp 41 Jahre alt geworden, und das war kurz vor meinem 13. Geburtstag. Deshalb eingangs die Frage, ob die 13 eine Unglückszahl sei.
Der Tod ist grausam, einem einfach das Liebste von der Welt zu nehmen.
Und wie sollte das Leben ohne Mama weitergehen?
Unter Fremden
Am Beerdigungstag war die Stube schon voller Verwandter, als ich mit meiner Schwester Gretel die Wohnung betrat.
Großmutters Begrüßung war: „So, nun hast du keine Mutter mehr!“
An den Gang zum Friedhof kann ich mich nicht mehr erinnern. Dort stand in einer Halle der noch offene Sarg. Zum letzten Mal konnten wir Mama sehen, wie sie friedlich da lag, und konnten uns von ihr verabschieden. Dann wurde der Sarg für immer verschlossen und wir folgten ihm zum Grab.
Alles andere ist aus meinem Gedächtnis gelöscht. Ich weiß nichts mehr von den nächsten Tagen, ein tiefes Loch, nicht ob ich mit meiner Schwester noch in der Wohnung wohnen blieb. Nur meine Verzweiflung ‚Ach, Mama, was soll ich ohne dich machen??’ und dass ich jeden Tag an ihr Grab ging, die Blumen zu pflegen.
Von unserem Vater hörten und sahen wir nichts, und so fiel Gretel die ganze Ve rantwortung für mich zu. Sie behielt unsere Wohnung noch, konnte aber oft abends, wenn es spät geworden war, nicht heim kommen. Und mich allein lassen, das ging nicht. Zu den Großeltern konnte
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