Nicht ohne Beruf (German Edition)
Rücken.
Woher ich den Mut nahm, weiß ich nicht, jedenfalls marschierte ich schnurstracks nach Oberschöna. Ein kinderloses Ehepaar, das dort einen großen Bauernhof besaß, hatte sich aus dem Kinderheim ein Baby geholt, das sie später adoptierten. Ich hatte sie, Wilhelmine und Paul Müller, bei der Gelegenheit auch kennen gelernt.
Später kamen sie nochmals, um ein größ eres Mädchen quasi als Haustochter zu nehmen. Hanna, in meinem Alter, also auch Schulabgängerin, fand so dort ihr Betätigungsfeld.
Schüchtern fragte ich an, ob ich nicht auch bei ihnen Aufnahme finden könnte. Das Gehöft hatten sie vor noch gar nicht langer Zeit erstanden, so fehlte ohnehin noch Personal. Ich durfte bleiben. Es war fast wie ein neues Zuhause. Wir Mädchen wurden wie eigene Kinder behandelt. Im Winter saß Tante Müller, wie wir die Frau des Hauses nannten, abends bei Häkel- und Stickarbeiten.
Doch es gab noch viel Neues zu lernen. Im Kuhstall standen viele Kühe mit dicken Eutern, die täglich zweimal gemolken werden mussten. Bald hatte ich genug Übung, mich ihnen mit viel Gefühl zu nähern, um nicht ihren Unmut zu erregen und den Schwanz um die Ohren gehauen zu bekommen. Zu dritt mit Tante Müller und Hanna bewältigten wir das schnell.
Die ersten Melkmaschinen wurden bereits angepriesen, lohnten sich aber bei uns nicht. Immer wieder standen einige träc htige Kühe mit dickem Wanst und gaben in der Zeit vor der Geburt ihrer Kälbchen keine Milch.
Aber nicht nur Kühe! Auch Pferde. Ein sanfter Hengst hie ß „Liederlich“, weil er seinen Hafer mit den Nüstern aus seinem Trog pustete und dann alles vom Fußboden fraß. So ein Liederlicher!
Mit ihm, dem Sanftmütigen, vor einen kleinen Kastenwagen gespannt, rollte ich zur Mühle, um Getreide abzuliefern und das daraus gewonnene Mehl und Kleie wieder abzutransportieren. Es ging ja fast geradeaus, und Liederlich kannte seinen Weg. Autos gab es noch sehr wenige.
Einmal, ausgerechnet als ich vorbei fuhr, ist ein Schokoladenauto an einem Brückengeländer hängen geblieben und umgestürzt. Bruchschokolade sahen wir aber keine.
Mit einem anderen Pferd, einem ziemlich nervösen Wallach, musste ich einmal das Feld eggen. In einer Kehrtwende kippte die Egge um und lag mit den Zacken nach oben. Ziemliche Angst habe ich ausg estanden bei der Vorstellung, der Wallach könnte einen Schritt rückwärts tun und in die Sporne treten. Zum Glück brachte ich diese Egge wieder in die richtige Lage.
Es war schon bisschen viel verlangt, mit diesem großen nervösen Pferd zu arbeiten und zu wenden.
Das dritte Pferd auf dem Hof war ebenfalls ein Hengst. Der war sehr unberechenbar; ihm kam ich nicht zu nahe.
Einmal ertönte nachts vom Pferdestall Krach und Wiehern. Onkel Müller war schnell drüben. Oh Schreck, Hans, der Hengst, hatte sich mit den Beinen in seiner Halterung verfangen und konnte nicht wieder aufstehen. Mit Winde und Gurten wurde er aus dem Stall gezogen, im Schuppen in einer Art Hängematte hoc hgehängt. Selbständig konnte er nicht wieder stehen. Wahrscheinlich hatte er sich innere Verletzungen zugezogen. Er starb. Onkel Müller weinte bitterlich.
Es war nicht allein der materielle Schaden in diesen ja nicht gerade rosig en Zeiten. Nein, an einem Tier kann man auch mit einem Stück seines Herzen hängen!
Doch es gab auch wieder Grund zum Lachen, wenn auch mitunter nur aus Sch adenfreude, die ja bekanntlich die reinste Freude sein soll.
Mit Hanna war ich auf dem Feld, um Di steln zu stechen, die sich zwischen den noch kurzen Haferhalmen ausbreiteten. Die Disteln landeten dann am Abend im Magen der Schweine.
Zur Vesperpause hatten wir die Wurstbrote (keine Marmelade!) aus dem Benert, dem Henkelkorb, herausgeholt. Ich, immer hungrig, bat Hanna, mir noch etwas von ihrem Brot abzugeben. Aber sie hatte kein Mitleid.
Über uns strahlte der blaue Himmel, aus dem plötzlich ein „Regentropfen“ herabfiel. U nmöglich, aber es machte auf einmal platsch. Genau auf Hannas Brot landete der Klecks. Vogelscheiße, so zielgenau! Ich brach in höllisches Gelächter aus.
„Siehst du, das war die Strafe,“ sagte ich. Das bekleckerte Stück Brot musste sie nun doch wegwerfen.
Später, in meiner Kindheit, sind wir öfters von Leipzig aus nach Oberschöna gefahren. Ein Bauernhof mit vielen Tieren, einem Kuhstall, in dem die Fliegenfänger schwarz vor Fliegen waren. Wie viele neue Eindrücke für mich Stadtkind!
Beim gemeinsamen Essen in der Guten Stube fläzte ich
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