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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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versteckte ihn. Zehn Tage später fand die Marionettenaufführung statt. Es lief alles gut, doch anschließend brachte sie mich zurück in die Baracke und schloss mich mit den anderen ein. Am folgenden Morgen verhielt sie sich kalt mir gegenüber. Also hatte sie mich wahrscheinlich nur manipuliert, die Fäden gezogen wie bei einer Marionette. Nein, sie war mit mir umgegangen wie eine Katze mit einer Maus, die sie gefangen hat – mir vorgemacht, ich könnte entkommen, um mich anschließend mit dem größten Vergnügen wieder festzunageln. Und jetzt wartete ich eingesperrt in einer Zelle darauf, dass die Lagerleiterin zurückkam und sich mit mir befasste.
    Wie lange war ich überhaupt schon hier? Meinem Gefühl nach mehrere Stunden.

Kapitel Fünfundzwanzig
    J emand drehte den Schlüssel im Schloss. Bevor ich wusste, was ich tat, war ich schon aufgesprungen. Vor mir stand eine Wärterin mit energischem Kinn, die aussah wie ein Mann mit Brüsten, dahinter die Sekretärin. Sie drückte der Wärterin eine Schüssel und einen Löffel in die Hand.
    »Nimm, Mädchen!«, sagte die Wärterin scharf. Ich tat wie befohlen. Die Schüssel war heiß. Ich konnte es nicht fassen. Seit meiner Verhaftung hatte ich nichts mehr bekommen, was mehr als lauwarm gewesen wäre.
    Die Wärterin warf die Tür ins Schloss. Der Schlüssel drehte sich wieder und ich blieb allein zurück mit einer Schüssel Essen. Ich setzte mich hin, spürte die Wärme unter meinen kalten Fingern und roch die guten Zutaten, bevor ich sie sah: echte Fleischstücke, Lauchringe, Karottenscheiben, kleine Kartoffelstücke, Gerstengraupen.
    Das Wasser lief mir im Mund zusammen, aber ich traute mich nicht zu probieren. Ich versuchte mir zu erklären, warum man mir das gebracht hatte. Vielleicht beobachteten sie mich durch den Spion in der Tür, um hereinzustürzen und mich grün und blau zu prügeln, falls ich es wagen sollte, das Essen anzurühren. Oder die Suppe war vergiftet. Wenn ich dann Blut spuckte und vor Todesqualen schrie, würden sie mich nach draußen zerren und die Mädchen an mir vorbeitreiben, um ihnen zu zeigen, was mit einer wie mir passierte.
    Ich stellte die Schüssel auf die Pritsche und wandte den Kopf ab, aber ich wusste ja, dass sie dort stand. Vor lauter Angst und vor Hunger begann ich heftig zu zittern – und plötzlich nahm ich das Gefäß und schlang das Essen hinunter. Es schmeckte himmlischer, als ich es je beschreiben könnte. Und es bewirkte, dass ich wieder Hoffnung fasste. Ich konnte nun nicht mehr glauben, dass es vergiftet war, und sie hatten es mich essen lassen. Das musste einfach ein gutes Zeichen sein.
    Nach einer Weile hörte ich, dass die Tür wieder aufgesperrt wurde.
    »Hast du aufgegessen?«, fragte eine Stimme. Es war die Sekretärin, nicht die Wärterin. »Du sollst sofort zur Lagerleiterin kommen.«
    Jetzt konnte ich vor Angst keinen klaren Gedanken mehr fassen. Beim Aufstehen knickte ich mit dem linken Fuß um und tat mir am Knöchel weh. Als es passierte, stieß ich einen Schmerzenslaut aus. Ich hatte gelernt, nicht zu schreien, wenn man mich schlug, aber das hier war etwas anderes.
    »Verletz dich nicht!«, sagte die Sekretärin und sah mich über den braunen Rand ihrer Brille stirnrunzelnd an. Irgendwo am Rande meiner Panik sagte eine ganz leise, vernünftige Stimme: Wenn sie dich töten wollten, wäre es ihnen egal, ob du dich verletzt.
    Ich machte vor der Lagerleiterin einen Knicks und grüßte mit Heil Hitler, aber ins Gesicht vermochte ich ihr nicht zu sehen. Stattdessen starrte ich zu Boden, auf die Beine ihres Schreibtischs und ihre glänzenden, kniehohen Stiefel. Ich zitterte.
    »Setz dich, Friedemann«, sagte sie.
    Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass sie mich mit dem Namen angeredet hatte, nicht als Nummer. Irgendwie war ich mit dem Kopf noch nicht ganz angekommen, ich fühlte mich benommen. Ich sackte förmlich auf den Holzstuhl und spürte zum ersten Mal seit zwei Monaten ein Kissen unter meinem Hintern. Die Sekretärin nahm in der Ecke Platz.
    Dann sah ich die Frau Direktor an. Ihre hellblauen Augen in dem vierschrötigen, fleischigen Gesicht. Sie begann zu reden, und ich versuchte zuzuhören. Ich schnappte auf: »Unglücklicher Irrtum« und »Entlassen«. Und dachte: Hat sie das wirklich gerade gesagt? Lassen sie mich tatsächlich gehen, oder habe ich schon Halluzinationen?
    Sie lächelte und zeigte dabei all ihre großen weißen Zähne. Was war das jetzt? »Ich hoffe, du bereust deine

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