Nicht ohne dich
sprach. Er war überall um mich her, dieser Ozean aus Licht, das die Lampe verströmte. Ich driftete darauf davon, und alles war in Ordnung, Papa war jetzt da, und ich war ein kleines Kind, das in seinen Armen ins Reich der Träume hinüberdämmerte.
Dann lag ich auf dem Boden, tropfnass, fröstelnd und zitternd vor Schreck. Der Mann neben mir hielt einen Eimer in der Hand. Mir wurde klar, dass ich ohnmächtig geworden war und sie mich mit einer kalten Dusche wieder aufgeweckt hatten.
»So kommst du uns nicht davon«, erklang Brenners Stimme.
Ich begann zu weinen. »Ich will zu meinem Papa«, jammerte ich.
»Weißt du«, entgegnete er, »wir können uns mit Leuten in seinem Gefangenenlager in Verbindung setzen, loyalen Deutschen, die ihn bestrafen werden, wenn du weiterhin so störrisch bist.«
Er lügt, sagte ich mir immer wieder vor. Die Amerikaner werden nicht zulassen, dass die Nazis Papa wehtun.
Dann, eines Abends, nach einem Verhör, das den ganzen Tag gedauert hatte, fand ich beim Zurückkommen in meine Zelle eine andere Gefangene dort vor.
»Du bist Jenny Friedemann, nicht wahr?«, sagte sie.
»Ja.«
»Ich habe heute Morgen gesehen, wie deine Mutter zur Hinrichtung geführt wurde.«
»Oh Gott«, sagte ich. Mir drehte sich alles. Dann dachte ich wieder an Karl. »Manchmal stecken sie jemanden zu dir in die Zelle, der versuchen soll, dich zum Reden zu bringen.« Trotzdem war ich stocksteif vor Angst, es könnte wahr sein.
»Sie lässt dir etwas ausrichten.«
Ich antwortete nicht. Tränen stiegen in mir auf. Aber ich dachte: Diese Frau ist nicht zufällig in meiner Zelle gelandet. Sie haben sie absichtlich hergebracht.
Die Frau sah mich aus hohlen, ruhelosen Augen an. »Willst du es nicht hören?«
Ich konnte nicht nein sagen. »Doch. Was denn?«
»Sie hat gesagt, du musst gestehen, wo der Jakobi-Junge ist, um dich zu retten. Sie hat gesagt, du bist ihr Fleisch und Blut, und sie will, dass du weiterlebst.«
Ich entgegnete: »Ich glaube Ihnen nicht.«
Einen kurzen Moment blitzte etwas in ihren Augen auf, dann erlosch es wieder. Sie versuchte weiter, mich zu überzeugen, aber ich blieb standhaft. »Meine Mutter weiß, dass ich nichts zu gestehen habe.«
Wer sie wohl war und was man ihr wohl angedroht hatte für den Fall, dass sie mich nicht dazu brachte, alles zuzugeben?
Auf der Rückfahrt ins Gefängnis gab es im Lastwagen immer Frauen, die stöhnten und weinten, manchmal schrien sie sogar, weil sie gefoltert worden waren. Man konnte sie nicht trösten, weil die Wärterin mit ihrem Knüppel danebenstand. Die Frauen rochen nach Blut und Kot und Urin. Eines Tages wurde eine von ihnen ganz still, und diesmal war es die Wärterin, die zu schreien anfing. »Bleib bloß am Leben!«, kreischte sie. »Du verfluchte Schlampe, du glaubst doch nicht, dass du so davonkommst! Warte nur, bis wir zurück sind, ich hol dir den Arzt, du Abschaum …« Sie schlug gegen die Scheibe, um den Fahrer zur Eile anzutreiben, und er fuhr schneller, doch die Frau starb, bevor wir das Gefängnis erreicht hatten.
Ich fragte mich immer wieder, wann sie anfangen würden, mich zu foltern, aber sie taten mir nie etwas Schlimmeres an, als mich ins Gesicht zu schlagen oder mit kaltem Wasser zu übergießen, wenn ich umkippte. Die Montgomery-Geschichte, so mutmaßte ich, zog also doch ein wenig. Oder es hatte mit Onkel Hartmut zu tun, obwohl sein Freund inzwischen tot war.
Trotzdem war es schlimm, da in dem blendenden Licht zu stehen, das mir die Augen versengte. Ich wurde von Mal zu Mal müder, der Schlafmangel ließ mich fast irre werden. Beim Sprechen lallte ich, meine Worte überstürzten sich und gerieten durcheinander. Ich wurde wieder ohnmächtig, und wieder weckten sie mich mit einem eiskalten Wasserguss. Ich hatte das Gefühl, mein Körper gehörte nicht mehr mir, sondern ihnen. Ich hatte mit alledem nichts zu tun.
Und dann kamen sie mich eines Tages nicht holen, und am nächsten auch nicht. Sie ließen mich für weiß Gott wie lange Zeit in der Zelle, wo mich nichts anderes beschäftigte als die Bettwanzen, die Luftangriffe und das vergammelte Essen.
Als sich schließlich die Tür öffnete und man mich herausholte, glaubte ich, man würde mich wieder in die Prinz-Albrecht-Straße bringen, aber sie verfrachteten mich zusammen mit vielen anderen Mädchen auf die Ladefläche eines offenen Lasters und fuhren mich aus Berlin hinaus.
Auf dem Lastwagen lernte ich Luise und Erna kennen, sie saßen eingekeilt neben mir, und
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