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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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dazu. Dein Vater hat doch Marionetten gebaut? Hast du das Puppenspielen gelernt?«
    Ich konnte kaum glauben, dass sie es nötig hatten, die Stimmung hochzuhalten, aber ich nickte trotzdem. Daraufhin musste ich, statt in meine Koje zu schlüpfen, mit in ihren Gemeinschaftsraum kommen, der außerhalb des Stacheldrahts lag. Kurz erwog ich, einen Fluchtversuch zu unternehmen, doch ich hörte die SS-Hunde bellen und wusste, dass sie mich erwischen würden.
    Die Marionetten waren nicht annähernd so gut wie Papas, aber ich hätte auch nicht gewollt, dass SS-Wärterinnen mit Papas Figuren spielten. Es gab eine Zauberin, ein junges Mädchen mit Haaren, die sich lösten, wenn man einen Hebel hinten am Kopf betätigte. Einen Mann und eine Frau, einen Prinzen. Rapunzel. Ich glaube nicht, dass es irgendeiner der Nazifrauen auffiel, wie absurd komisch es eigentlich war, dass sie haufenweise junge Mädchen von Männern abschotteten, genau wie die Zauberin – sogar die Haare schnitten sie uns ab –, und sich jetzt ausgerechnet an diesem Märchen der Brüder Grimm erbauen sollten. Vielleicht hatte der Spender der Marionetten schwarzen Humor.
    Einen Sonntag lang bekam ich frei, um mit der Grendel üben zu können. In ihrer Unterkunft. Und sie lächelte mich an, ganz plötzlich unheimlich freundlich.
    »Deine Großmutter war also Engländerin? Wie hieß sie denn?«
    Sie spielte gerade die Rapunzel-Marionette, ließ sie über den Boden laufen. Es war ihr Wunsch gewesen, die Hauptperson sowie Rapunzels Mutter zu spielen. Ich musste die Zauberin, den Prinzen und Rapunzels Vater übernehmen. Jedes Mal, wenn meine Zauberin die Marionette der Grendel in den Turm sperrte, musste ich mir auf die Backen beißen, um nicht in irres Gelächter auszubrechen.
    Ich antwortete: »Montgomery.«
    Sie nickte, als sei ihr das bereits zu Ohren gekommen und sie wolle sich nur rückversichern. Als sie mich erwartungsvoll ansah, erklärte ich ihr, General Montgomery sei mit mir verwandt. Schließlich hatte ich nichts zu verlieren.
    »Das ist interessant«, meinte sie. Dann übten wir weiter. Sie war eine versierte Puppenführerin, und das fand ich zunächst merkwürdig, denn Papa hatte immer gesagt, ein guter Puppenspieler müsse seinen Mitmenschen Anteilnahme entgegenbringen. Doch dann wurde mir klar, dass jemand, dem die anderen vollkommen egal sind, sich vielleicht trotzdem in sie hineinversetzt, um sie manipulieren und benutzen zu können.
    Es war dennoch seltsam – unmöglich, diese Arbeit mit jemandem zu machen, ohne ihn als menschliches Wesen zu sehen. So begann ich also zu glauben, dass die Grendel tatsächlich ein Mensch war.
    Eines Tages sagte sie: »Wir müssen hier im Lager tun, was uns befohlen wird. Aber vielleicht kann ich dir trotzdem in irgendeiner Weise helfen?«
    Sie warf einen kurzen Blick auf ein Foto, das ihren Bruder in SS-Uniform zeigte. Er war im Jahr zuvor in Stalingrad gefallen. Es hatte für die Grendel jetzt keinen Sinn mehr, an ihrer Nazigesinnung festzuhalten. Ich wusste, dass die Russen die polnische Grenze überschritten hatten, es war das Letzte gewesen, was wir vor unserer Verhaftung auf BBC gehört hatten. Ich war sicher, dass die Deutschen sie nicht wieder hatten zurückwerfen können, denn das hätten wir erfahren. Die Wärterinnen veranstalteten immer ein großes Gedöns, wenn es einen sogenannten deutschen Triumph zu verzeichnen gab. Wahrscheinlich waren die Russen inzwischen schon ein gutes Stück weiter vorgedrungen und die Schwester des SS-Helden musste vorsorgen. Und da sie glaubte, ich würde ihr nach dem Sieg der Alliierten, von dem jeder wusste, dass er unausweichlich war, helfen können, beschloss ich, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. »Ich möchte gern meiner Tante Grete in Berlin einen Brief zukommen lassen.«
    »Ich könnte ihn überbringen«, sagte sie. »Nächstes Wochenende fahre ich sowieso nach Berlin.«
    An diesem Nachmittag schrieb ich den Brief, auf ihrem Papier, mit ihrem Stift. Ich erzählte Tante Grete von dem Lager, den Schlägen, der Kälte, dem Hunger und von dem Mädchen, das man an einen Pfahl gefesselt hatte sterben lassen, und wie das Mädchen nach seiner Mutter gerufen hatte. Ich schrieb auch, ich wisse, dass Onkel Hartmuts Freund gefallen sei, dass er aber sicher jemanden finden könnte, der uns half. Ich fügte noch hinzu, dass ich in diesem Lager vielleicht sterben würde und dass Mama wahrscheinlich irgendwo war, wo es ebenso schlimm zuging.
    Die Grendel nahm den Brief und

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