Nicht ohne dich
und ihrem bazillenverseuchten ausländischen Hundevieh …«
Sie war fuchsteufelswild gewesen, als Janke, der im Haus als Luftschutzwart fungierte, erklärt hatte, Muffi dürfe mit uns in den Keller.
Brenner aber knallte ihr einfach nur hin: »Der Führer liebt Hunde.«
Sie schnappte mit einem kleinen Jammerlaut nach Luft und genau in diesem Augenblick ging das Licht aus.
Das hatten wir noch nie erlebt. Bei diesem ersten Mal erschien mir die Dunkelheit wie eine erstickende Decke, die über uns herabgefallen war. Und ich dachte an Raffi. Nein, ich spürte seine Gegenwart; spürte, wie sich seine Muskeln bei jeder Explosion und jeder Druckwelle anspannten, spürte, wie seine Finger seine gebeugten Knie umklammerten, während die Wand des Lagerraums hinter ihm vibrierte. Ich spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
Das Licht ging flackernd wieder an. Frau Mingers warf einen verstohlenen Blick zu Brenner, ob sie es sich auch ja nicht mit ihm verscherzt hatte, aber er zeigte keinerlei Interesse an ihr. Nein, er musterte eingehend Mamas und mein Gesicht, und ich wusste auch, warum. Ich verbannte den Gedanken an Raffi in die hinterste Ecke meines Hirns.
Endlich gab es Entwarnung, und wir traten alle hinaus auf die Straße, um uns zu vergewissern, dass nirgends ein Brand ausgebrochen war. Wir wussten zwar, dass es nicht brannte, denn wir hatten keine Bombeneinschläge in der Nähe gehört, aber wir mussten trotzdem jedes Mal nachsehen. Der Himmel leuchtete rot.
»Das ist schlecht«, knurrte Brenner. »Sie haben wieder das Stadtzentrum bombardiert, diese judenfreundlichen englischen Schweinehunde. Ich hoffe, das Hauptquartier steht noch.« Dann wandte er sich zu Mama und mir um. »Deshalb müssen wir ganz sichergehen, alle Juden zu finden, die sich hier noch versteckt halten.«
Mama blickte ihn mit unschuldiger, erschrockener Miene an und sagte: »Natürlich, aber – Herr Kriminalkommissar Brenner, hier bei uns gibt’s keine Juden.«
»Schon möglich«, entgegnete Brenner und steuerte auf das Auto zu.
Eine Woche später tauchte er erneut auf. Als ich die Tür öffnete, stand er ganz entspannt da, die Hände in den Taschen seines Ledermantels. Er war allein und statt der Uniformmütze trug er einen Filzhut. Wenn er dadurch wie ein Zivilist auszusehen hoffte, funktionierte es nicht. Gewöhnliche Männer liefen nicht in langen Ledermänteln und Knobelbechern herum. Er streichelte Muffi und begrüßte sie wie einen alten Freund.
Brenner ging mit uns durch die Wohnung und öffnete sämtliche Schranktüren, jedoch nicht so, als erwartete er, dort irgendetwas zu finden. Wieder ließ er sich von uns in die Werkstatt bringen, wo er dem Theater einen Tritt versetzte – aber nur angedeutet, fast als befürchtete er, von uns wegen Sachbeschädigung verklagt zu werden –, und verabschiedete sich dann wieder. Als er weg war, lief Muffi mit wütendem Knurren und zähnefletschend im Kreis herum.
Mama sagte: »Eines Tages wird alles anders sein, Muffi, und dann kannst du ihn auch beißen.«
»Lieber nicht«, sagte ich erbittert. »Sein Blut könnte sie vergiften.«
Drei Wochen nach Brenners letztem Besuch beschlossen wir, Raffi nach oben zu holen. »Wir können ihn nicht in diesem Loch lassen«, sagte Mama. »Da drin würde jeder durchdrehen.« Aber dann warf sie mir einen unsicheren Blick zu.
Rasch entgegnete ich: »Es ist auch ein Risiko, dauernd mit den Sachen für ihn treppauf und treppab zu laufen. Ich warte ständig darauf, dass mich einmal Frau Besenstiel erwischt und fragt, was ich um diese Zeit noch in der Werkstatt zu suchen habe.«
Als ich zum letzten Mal zu Raffi hinunterging, tastete ich nach dem unberührten Papier und den Stiften, die immer noch neben der Tür lagen, und steckte sie in die Tasche. Ich wollte nicht, dass sie dort unten zurückblieben.
Flüsternd, wie ich es inzwischen gewohnt war, fragte ich ihn: »Nimmst du die Decke und das Kissen? Dann kann ich hinter dir abschließen und in der Werkstatt Licht machen. Die Fenster sind verdunkelt, es besteht also keine Gefahr.«
Als ich das Licht eingeschaltet hatte, konnte ich ihn zum ersten Mal seit einem Monat wieder richtig sehen. Seine vom Licht geblendeten, blinzelnden Augen stachen blau aus dem schmalen, bleichen Gesicht heraus, und seine Wangenknochen traten deutlich hervor. Die Wangen waren flaumbedeckt, und auf der Oberlippe wuchs ein heller Schnurrbart. Eine Woge der Zärtlichkeit erfasste mich, und das tat so weh, als würde mir das Herz
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