Nicht ohne dich
ruhig, als wüsste ich instinktiv, dass das jetzt das Beste war. Und Muffi war Gott sei Dank so klug, gleich mit dem Schwanz zu wedeln, sodass der ganze Zottelmantel in Bewegung geriet.
Der Gestapomann bückte sich zu ihr hinunter und streichelte sie, um anschließend in ganz normalem Tonfall zu sagen: »Heil Hitler, ich bin … Kommissar Brenner. Wir kennen uns von neulich. Ich möchte mir eure Werkstatt noch einmal ansehen.«
Dieses Mal musste Mama auch mit hinuntergehen. Die Männer marschierten schnurstracks auf das Theater zu – er musste sie vorab instruiert haben – und versuchten es von der Wand wegzuschieben, während Brenner Mamas und mein Gesicht im Auge behielt.
Das Theater rührte sich keinen Millimeter. Ich stand da und zwang mich, etwas der Situation Angemessenes zu denken – dass es zwar unangenehm und angsteinflößend war, die Gestapo in der Werkstatt zu haben, aber mehr auch nicht, und dass ich bloß hoffte, sie würden das Theater nicht beschädigen – denn darüber würde sich Papa aufregen. So sinnierte die kleine Schauspielerin, zu der ich geworden war. Einmal dachte ich: Sie müssen letztes Mal draußen herumgeschnüffelt und sich Gedanken über die Treppe gemacht haben – doch daraufhin begann mein Herz so zu hämmern, dass ich mir das Denken ganz verbot.
»Mein Mann hat es in der Wand verankert«, sagte Mama zu Brenner – sie spielte ihre Rolle gut. »Das Theater muss stabil stehen, wenn Menschen da oben sitzen.«
»Hat einer von euch einen Schraubenzieher dabei?«, wollte Brenner von seinen Leuten wissen.
Natürlich hatten sie keinen. In Papas Werkzeugschrank lagen mehrere, aber darauf machten weder Mama noch ich ihn aufmerksam.
Der mit der Narbe besah sich die Schraubenköpfe und erklärte: »Herr Kommissar, an diesen Schrauben hat schon lange keiner mehr gedreht. Die Farbe außenrum ist unversehrt.«
Brenner näherte sich dem Theater, inspizierte die Schrauben und nickte. »Und auf der Rückseite gibt es keine Tür, das sehe ich auch.«
Mein Herz fühlte sich an, als lieferten sich Mäuse darin ein Wettrennen, aber ich stand ganz still und versuchte den unschuldigen Blick in meinem Gesicht zu bewahren. Wir haben nichts zu verbergen, wiederholte ich in meinem Kopf, während Brenner mit dem Fuß auf den Boden klopfte. Und dann begannen die Sirenen zu heulen.
»Ein Luftangriff«, sagte Brenner. Er runzelte die Stirn. »In die Prinz-Albrecht-Straße werden wir es wohl nicht mehr schaffen, oder?«
»Von hier aus nicht, Herr Kommissar«, erklärte der größere der Männer.
»Na dann«, sagte Brenner zu uns, »wo ist Ihr Luftschutzraum?«
»Im Keller«, gab Mama Auskunft. »Aber wir müssen erst rauf, unsere Sachen holen und die Fenster öffnen …«
»Ja, ja«, blaffte er. »Windeck, Sie gehen mit hoch und behalten die beiden im Auge. Den Keller finde ich schon. Kommt der Hund auch mit?«
»Natürlich«, sagte ich.
»Na gut«, meinte er. »Dann ist es wenigstens nicht so langweilig.«
Ich hörte erste ferne Bombeneinschläge, und die Detonationswelle pflanzte sich durch den Boden fort und erschütterte die Fundamente unseres Hauses. Muffi kam zu mir und barg die Schnauze an meinem Bein. Sie hätte gern gebellt, wusste aber, das war nicht erlaubt.
»Der Berliner Boden«, knurrte Brenner einmal. »Sand überträgt die Druckwellen über weite Strecken.«
Die nackte Glühbirne wackelte an ihrem braunen Kabel. Frau Schmid bedachte uns mit finsteren Blicken – ständig Besuch von der Gestapo, das sprach nicht gerade für uns. Herr Tillmann hielt die Augen auf seine Schuhe gesenkt, und der alte Herr Berger aus dem obersten Stock blickte starr in das Buch – Schillers Dichtungen –, das er immer mit in den Keller nahm, und bewegte die Lippen, während er lautlos las.
Frau Besenstiel sagte anbiedernd zu Brenner: »Mein Zweitältester leistet seinen Dienst für das Vaterland bei der Flak.«
Dem Himmel sei Dank. Das bedeutete, dass Willi mich im Keller nicht mehr anglotzen würde.
»Sehr lobenswert«, entgegnete Brenner mit einem herablassenden Lächeln – man merkte, wie er es genoss, wenn die Leute Angst vor ihm hatten und ihm in den Hintern krochen.
Frau Mingers hielt ihr Mutterkreuz umklammert, damit es Brenner auch ja auffiel. »Unsere Familie, wir sind alle national gesinnt, wir würden fürs Vaterland unser Herzblut geben. Aber die beiden da …«, jetzt hörte sie auf zu schleimen, um wütend in unsere Richtung zu knurren, »mit ihrem englischen Blut
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