Nicht ohne meinen Mops
mit den Schultern und greift sich ein weiteres Stück Kuchen. Irgendwann zwischen den ›Desperate Housewifes‹, die alle mit den Stimmen der ›Tagesschau‹-Sprecher reden, und den mit dem ›Auslandsjournal‹ unterlegten ›Mainzelmännchen‹ drückt meine Blase. Die von Earl wohl auch und so drehen der Mops und ich eine Nachtrunde durch das Viertel. Wir halten uns in entgegengesetzter Richtung zum Bohnenviertel, denn auf Nachtleben habe ich absolut keine Lust. In den Wohnhäusern sind die meisten Lichter schon erloschen und entlang der Gehsteige parken die Autos wie Perlen auf einer Schnur. Mir fällt auf, dass VW- und Opel-Fahrer korrekt neben dem Rinnstein parken – Daimlerfahrer nutzen hingegen den halben Gehweg für ihre Edelkarossen. Vielleicht haben die Autos einen eingebauten Heimvorteil, wo sie doch nur ein paar Kilometer entfernt entworfen und zusammengetackert werden? Earl pinkelt vor, ich hinter dem Busch an einem kleinen Spielplatz. Ich finde, wenn meine Jungs sich schamlos mit Cola volllaufen lassen, dann darf ich auch ein bisschen ungezogen sein. Earl jedenfalls scheint beeindruckt und kommt direkt mit mir in unsere Wohnung. In dieser Nacht schläft der Mops auf meinem Bettvorleger.
Die nächsten Wochen vergehen wie im Flug. Alles ist neu – die Wohnung riecht nach frischer Farbe, nachdem Rolf die Wand, an der sein Bett steht, in sattem Rot gestrichen hat. Chris setzt auf Sonnengelb, der Pflanzen wegen. Die stehen in seinem Zimmer dicht an dicht und jedes Mal, wenn ich ihn in seinem Reich mit dem Himmelbett und dem Kuschelsessel besuche, habe ich das Gefühl, in einem Gewächshaus zu sitzen. Bei schönem Wetter macht Chris die Flügeltür zum französischen Balkon auf und wir sehen dabei zu, wie die Weinreben ihre Äste um das Geländer wickeln. Chris hat die Pflanzen auf dem Balkon mit Hühnermist gedüngt. Drei Tage lang hat es bestialisch gestunken – aber es wirkt: Sie wachsen schneller, als der Florist erlaubt.
Meistens reden wir nicht viel. Oder auch gar nichts. Chris quasselt den ganzen Tag am Telefon und nimmt im Callcenter Bestellungen von Neckermann-Kunden, Beschwerden von Versicherungsnehmern oder Fragen zu Telefontarifen entgegen. Am Abend, sagt er, hat er das Gefühl, seine Lippen seien ausgefranst und seine Zunge meterdick.
Rolf sehe ich selten. Wenn ich morgens aufstehe, ist er längst unterwegs, um Briefe auszutragen. Im Halbschlaf höre ich, wie die Dusche anspringt und Rolf sich einen Kaffee brüht. Wenn die Tür sanft ins Schloss fällt, drehe ich mich um und schlafe noch zwei Stunden. Auch Chris ist meist vor mir weg. »Die Hausfrauen rufen gleich nach dem Frühstück an, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Neulich hat eine um halb acht einen Vibrator bestellt.«
Als mein Bett endlich geliefert wird, feiern die Jungs, Earl und ich Matratzenparty. Rolf hat eine Flasche Prosecco bestellt, Chris steuert Pommes und Currywurst aus der Bude um die Ecke bei. Zu dritt hocken wir auf dem Bett und schlemmen. Earl schlabbert Wurst, Pommes und die halbe Pappschale auf meinem Bettvorleger. Das mit dem Ketchup hat der Mops nicht so drauf und ein knallroter Fleck landet auf dem fast noch neuen Teppich. Doch noch ehe ich mich aufregen kann, springt Rolf auf, schnappt sich den Vorleger und steckt ihn in die Waschmaschine. Am nächsten Abend liegt er frisch gewaschen und nach Lenor duftend wieder an seinem Platz.
Das Leben ist für mich ein langer, ruhiger Fluss … bis zu jenem Nachmittag, als Marc, der Arsch, in den Tabakladen kommt.
Die Klimaanlage hatte schon seit drei Tagen Mucken gemacht. Punkt 10 Uhr an diesem Tag gibt es ein lautes Knarzen, gefolgt von einem Kreischen. Die Lichter im Laden flackern und die Kasse, mit der ich eben zwei Zeitschriften und ein Päckchen Tabak eingescannt habe, verlangt für einige Sekunden 7.754, 78 € vom Kunden. Kasse und Lichter beruhigen sich sofort wieder. Aber mit steigender Temperatur wird Onkel Fritz und mir klar, dass die Kühlung im Eimer ist. Fritz ruft sofort beim Notdienst an – aber selbst der Totalausfall kann die Herren nicht beeindrucken. Wie an den vergangenen Tagen auch bekommt er die Antwort: »Wenn ein Kollege frei ist …« Fritz schnaubt und schwitzt. Gegen 14 Uhr stiefelt er schließlich in den Supermarkt und kommt mit zwei Ventilatoren wieder. Den einen stellt er auf die Theke, den anderen dahinter. Gemächlich brummend, verquirlen die Ventilatoren den Mief im Laden. Fritz ist schweißgebadet und ich spüre, wie das
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