Nicht schießen, Johnny!
an.
»Kannst du deswegen nicht rausgehen und die Zeitung holen?« fragte sie.
»Ja«, flüsterte Billy.
»Gut, dann holen wir sie eben gemeinsam.«
Plötzlich kam Leben in ihn; er packte sie verzweifelt am Arm und riß die Augen vor Entsetzen weit auf. »Nein! Nein!«
Sie musterte ihn mit durchdringendem Blick. »Billy, was hast du angestellt?«
Als er nicht antwortete, steuerte sie auf die Vordertür zu, wobei sie ihn fast hinter sich herzerrte.
»Geh nicht raus!« schrie er.
Damit war der Fall für sie klar. Es war irgend etwas sehr Schlimmes passiert. Ihre Stimme klang nicht mehr streng, sondern nur noch mitfühlend, als sie sagte: »Komm, Billy, sag mir, was geschehen ist. Sonst muß ich Daddy anrufen. So geht das wirklich nicht mehr weiter.«
In Billys Augen standen Tränen; Mrs. Hotchkiss spürte, daß er am Ende seiner Kräfte war. »Ich hole die Zeitung herein«, sagte sie. Ihr war nämlich plötzlich eingefallen, daß womöglich darin etwas stand, was Billy unbedingt vor ihr verheimlichen wollte. Sie beschloß, die Zeitung hereinzuholen und wenigstens die Lokalmeldungen rasch zu überfliegen. Alle Erklärungen, die ihr sonst noch einfielen, ergaben einfach keinen Sinn. Ohne ein weiteres Wort schüttelte sie seine Hand ab und ging auf die Tür zu.
Dann kam es. Mit einer Stimme, die sie kaum wiederkannte, brüllte Billy: »Draußen ist ein Junge mit einem Revolver! Wenn du rausgehst, erschießt er dich!«
Sie schnappte nach Luft; sie wirbelte zu ihm herum. »Mit einem richtigen Revolver?«
»Ja!« Billy sprudelte die Worte nur so heraus und ballte vor lauter Eifer die Hände - er mußte seine Mutter unbedingt dazu bringen, daß sie ihm glaubte. »Ich habe sein Radio kaputtgemacht. Ich wollte es nicht kaputtmachen, aber es fiel runter - aufs Pflaster. Vorhin rief er hier an. Er sagte, er hätte den Revolver seines Vaters, und er würde herkommen und mich erschießen!«
Es wurde still. Nach einem Moment eisigen Schreckens faßte Estelle Hotchkiss ihren Sohn prüfend ins Auge. Nein, er log nicht, das konnte sie sehen. Mit drei raschen Schritten war sie beim Telefon und wählte die Vermittlung.
»Verbinden Sie mich mit der Polizei.« Sie merkte, daß ihre Stimme zitterte.
Der Sergeant vom Dienst, der ihren Anruf entgegenahm, gab die Meldung per Funk weiter. Sie wurde von den zwei Streifenbeamten Dick Stone und Barry Rothberg aufgefangen, die keine zwei Meilen vom Haus der Familie Hotchkiss entfernt durch die Gegend kurvten; fünf Minuten später klingelten sie an der Vordertür. Beim Anblick ihrer Uniformen machte Estelle die Tür weit auf und sagte mit gepreßter Stimme: »Kommen Sie bitte herein.«
Peinliche Minuten verstrichen, während Billy stockend seine Geschichte erzählte, beschämt über das, was er getan, erschrocken über das, was er damit heraufbeschworen hatte.
Als Billy schwieg, sah Stone seinen Gefährten an. »Ich werde mich draußen mal ein bißchen umschauen. Bleib du inzwischen bei den Leuten hier.«
»Ich kann doch auch gehen«, sagte Rothberg.
Stone verschwendete keine Zeit auf eine Antwort. Er lockerte die Waffe im Gürtelhalfter und zog los. Im Vorgarten machte er auf dem mit Steinplatten ausgelegten Weg halt und musterte seine Umgebung, vor allem jene Stellen, die sich als Versteck eigneten. Auf der anderen Straßenseite lag ein verwildertes, baumbestandes, unbebautes Grundstück, das jedem, der das Hotchkiss-Haus beobachten wollte, ohne selbst gesehen zu werden, ideale Schlupfwinkel bot. Stone setzte sich wieder in Bewegung, schlenderte zum Streifenwagen hinunter und griff nach dem Mikrofon. Er machte seine Meldung, behielt dabei jedoch die dunkle Busch- und Baumkulisse auf der anderen Straßenseite unauffällig im Auge.
Um diese Zeit war die Tagbelegschaft der meisten Abteilungen bereits nach Hause gegangen; das galt auch für die Beamten des Jugenddezernats und die Polizeidetektive. Aber in bestimmten Abteilungen wurde weitergearbeitet, denn Ruhestörung, Verkehrsunfälle, Brände, Verbrechen und sonstige Delikte, mit denen sich die Polizei befassen muß, hörten ja nicht mit dem Dienstschluß um fünf Uhr auf; die Dunkelheit gibt ihnen sogar erst richtig Auftrieb. In Pasadena waren es vorwiegend uniformierte Beamte, die nachts Dienst taten, aber sie konnten notfalls jederzeit Unterstützung herbeirufen.
Virgil Tibbs saß an seinem Schreibtisch. Er hatte einen Gerichtstermin und wollte absolut sichergehen, daß seine Unterlagen hieb- und stichfest waren. Er hatte
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