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Nicht schwindelfrei - Roman

Nicht schwindelfrei - Roman

Titel: Nicht schwindelfrei - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon Verlag
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da gleich noch einmal.
    Richtig, bestätigte der Vater.
    Die Mutter blätterte rasch voran zum ersten Foto ihres jüngeren Sohnes: Ein Kind im Kinderwagen, wie irgendeines, das damals schon Paul hiess. Sein älterer Bruder schaute über den Rand des Wagens. Er schien zu wissen, dass es da etwas zu lächeln gab. Dann die beiden Buben im Seebad, die Familie beim Picknick. Der Fotograf, immer der Vater, war die Lücke im Bild.
    Ich kenne sie, diese Menschen, dachte Paul, kenne sie alle und schon lang. Kannte sie immer schon.
    Einzelne Bilder hatte man aus dem Album entfernt.
Paul fuhr mit dem Zeigefinger über die Klebstoffkrusten und die Reste des weggerissenen Papiers.
    Paul schien die Prüfung bestanden zu haben, und man wertete es als gutes Zeichen, dass er darum bat, das Album leihweise mit nach Hause nehmen zu
dürfen.

A ls Marion ganze Abende wegblieb, erkundigte sich Paul, was eigentlich los sei.
    Ich treffe einen Bekannten, erklärte sie.
    Bekannt?
    Wir haben uns halt kennen gelernt. In diesem Naturheilkurs, vielleicht erinnerst du dich.
    Nein.
    Ach, du warst da wohl noch in der Rehabilitation. Er ist Naturheilpraktiker und erforscht nebenbei das volksmedizinische Wissen im Alpengebiet. Spannend, sagte Marion.
    Spannend war ihr neues Lieblingswort und der Bekannte war vielleicht sogar ihr Lieblingsmann, er selbst dagegen, Paul, bloss noch ihr Mann. Dieser
Gedanke beschlug sein Inneres wie mit Dampf. Marion spürte es wahrscheinlich, und sie war dankbar, dass Paul sich nichts anmerken liess.
    Sie teilte ihm mit, der Bekannte sei verheiratet, er habe zwei Kinder und eine kränkliche Frau.
    Hat er die denn nicht geheilt?
    Noch nicht.
    Möchte er, dass sie wieder gesund wird?
    Marion überlegte. Sie zeigte an ihre Schläfe: Auch da ist sie krank, die Frau, das ist das Problem.
    Das heisst, sie hat einen kränklichen Kopf?
    Genau.
    Sie verstummten.
    Es ist schon so, gab Marion dann zu: Im Moment hab ich ziemlich genug von dir.
    Paul sagte: Siehst du.
    Vieles, alles bekam nun ein anderes Gesicht. Wenn Tom in der Schule war, ging Paul durch die Wohnung wie ein Besucher. Er betrachtete die Gegenstände, die Tuben, Dosen, Fläschchen, die zu Marion gehörten. Naturprodukte waren hier dazugekommen, hatten die alte, gesundheitsgefährdende Ware ersetzt. Marion machte an einem Berufswechsel herum. Im Frühjahr begann ein dreijähriger Ausbildungslehrgang.
    Eine Hinterlassenschaft ihrer unerwartet weggestorbenen Mutter machte solche Pläne möglich. Esther hatte die Frau geheissen und hiess sie weiter­hin. Esther war so leise verschwunden, dass man sie erst nach Monaten zu vermissen begann.
    Die Kurse fanden im nördlichen Schwarzwald statt. Marion würde einmal für zwei, drei Wochen und mehrmals für Wochenenden abwesend sein.
    Das heisst nicht, dass ich dich verlasse, sagte Marion.
Sie sass sehr aufgerichtet da.
    Paul sagte: Das wirst du dir noch anders überlegen.
    Niemals!
    Wart’s ab.
    Paul hätte gerne weiter gezankt, aber er verstummte.
    Wie du wieder dreinschaust, sagte Marion.
    Paul versprach: Ich werde dich nicht umbringen, niemals, Marion. Nicht erstechen oder erwürgen oder erschlagen oder vergiften oder mit Benzin übergiessen und anzünden.
    Das heisst, ich komme mit dem Leben davon?
    Ja, das heisst es.
    In solchen Gesprächen schienen sie gemeinsam auf einen Moment hin zu streben, hin zu drängen, wo es nichts mehr zu sagen gab. Das Gespräch versandete nicht, es steckte fest wie in einem dafür eingerichteten Loch.
    Paul stand unvermittelt auf, löschte das Licht, ertastete seinen Stuhl und setzte sich wieder. Marion blieb ruhig. Die Fenster einiger Nachbarhäuser beleuchteten den Garten, ein Rest von Helligkeit kam in die Küche herein. Ihre Gesichter am Küchentisch waren farblos, aber wirklicher geworden.
    Wenn du mit deinem Bekannten mal einen Schritt weiter bist, wo soll ich dann die neue Frau hernehmen?
    Frauen gibt es wie Sand am Meer, sagte Marion ausweichend.
    Paul sah unzählige Liegestühle an einem endlosen Strand. In jedem Liegestuhl lag eine Frau in rotem Badeanzug.
    Männer auch, sagte er.
    Männer?, fragte sie.
    Männer auch, wiederholte er.
    Männer gibt es wie Geröll, wie Geröll. Marion rollte
das r.
    Tom kam herein und mit ihm etwas Licht aus dem Gang. Er erkundigte sich, was denn los sei.
    Das fragen wir uns auch, sagte Marion. Sie schaute in Richtung des schwarzen Fensters, in

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