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Nicht schwindelfrei - Roman

Nicht schwindelfrei - Roman

Titel: Nicht schwindelfrei - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon Verlag
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Tisch des Kapitäns, der fliessend Deutsch sprach, dem Besuch eines ungarischen Schlosses, das nur dank einer Kusine des Kapitäns ausnahmsweise für fremde Besucher geöffnet wurde.
    Marion lachte. Ein bewährter Dreh: Das gibt der Reise etwas Exklusives.
    Du denkst, es ist gelogen?, fragte Paul. Die Kusine persönlich hat die Gesellschaft an der Freitreppe erwartet, hat ihnen die Pforte aufgeschlossen, sogar
ein Glas Sekt offeriert.
    Und nach dem Rundgang, sagte Marion, stand ein Teller für das Trinkgeld bereit.
    Meinen Eltern ist das alles eben wichtig. Paul hatte zum ersten Mal das Bedürfnis, seine Familie in Schutz zu nehmen.
    Sie schwiegen. Marion schenkte Rotwein nach.
    Mir fällt ein, sagte sie, was du vor Jahren von deinen
Eltern behauptet hast: Sie treten nicht in ihr Leben ein, sie sind immer noch daran, sich auf dem Türvorleger die Schuhe abzuwischen.
    Das hab ich? Vor Jahren wusste ich demnach noch, was zum Leben gehört.
    Marion nickte zögernd. Deine Eltern haben Angst um dich, sagte sie.
    Später sahen sie fern. Steff hatte Marion empfohlen, Paul hie und da einen Krimi zuzumuten. Was er noch brauche, sei etwas Abhärtung.
    Sie hatten sich auf das Sofa gesetzt. Krimis gab es auf vielen Kanälen, stellten sie fest, doch die meisten dieser Filme waren schon am Laufen. Einer schien eben angefangen zu haben. Man sah sofort, wer der Halunke war, nur die Polizei schien noch nicht so weit zu sein. Sie verdächtigte einen anderen, einen unrasierten, heruntergekommenen jungen Mann, der auf eine Bahn geraten war, die schiefer und schiefer wurde. Paul verlor den Faden. Eine schwer verletzte Frau stolperte in Brombeersträuchern herum. Paul fürchtete, sie würde hier unbemerkt verbluten. Er versuchte abzuschätzen, wie lange sie in diesem Zustand überleben konnte. Dabei verpasste er die anschliessenden Szenen und fand sich erst wieder zurecht, als das Alibi des Halunken sich als falsch erwies und der von ihm erpresste Komplize entlastet war.

P aul kannte die Strecken der Strassenbahnen und Busse. Je näher man einer Endstation kam, desto ungewohnter waren die Gesichter der Passagiere, umso fremder ihre Sprachen. Eine Asiatin und eine Osteuropäerin, beide mit Kinderwagen, wechselten radebrechend ein paar Wörter und Satzfragmente auf Deutsch. Die eine, deren freches Mädchen sich den Gang entlang davongemacht hatte und wieder eingefangen und erschöpft gescholten werden musste, dankte der anderen, die unterdessen beide Kinderwagenkinder im Auge behielt.
    Immer wieder sah er rätselhafte Gebärden. Eine junge Frau breitete ihre schmalen Handflächen aus, als hätte sie etwas Leichtes, aber Bedeutendes zu zeigen oder zu tragen; ihre ältere Begleiterin legte eine mehrfach beringte Hand auf das Brustbein und beklopfte sich dort, solange sie sprach.
    Paul stieg aus. Er wartete an einer stark befahrenen
Strasse. Das Überqueren war hier nicht vorgesehen. Ferne Ampeln bündelten den Verkehr. Paul nützte eine erste Pause, um die Mitte, eine zweite Pause, um die andere Seite zu erreichen.
    Er ging einer Reihe von älteren Mietshäusern entlang. Balkone, die als Abstellräume dienten, gedeckte Fahrradständer. Auf einem schmalen Rasenstreifen stand ein grosses Tretfahrzeug aus Plastik, ein Bagger
mit Zubehör. Wohnungen boten Einblicke an. Die Hälfte eines grossen, dunklen, honiggelb verglasten
Schranks war zu sehen, ein mit Messingnägeln beschlagener dunkelroter Polstersessel und Bilder von Tieren, ein Pferd in einer Sturmlandschaft, ein Hund mit Hundeblick. Paul schaute in die Auslage eines Elektrogeschäfts, das sich im Erdgeschoss eines Wohnhauses eingerichtet hatte. Eine ältere schwarze Frau kam ihm schaukelnd entgegen. Er grüsste, sie grüsste nicht. Der Widerschein in den Fenstern vermittelte schräge Blicke auf benachbarte Wände und Firste.
    Paul brachte seine Arme in Schwung. Er führte sich selbst vor, wie ein Gehender sich fortbewegt und wie er sich fühlt.
    Die Strasse endete an einer ausgedehnten Wiese. Kurzes einförmiges Grün wie auf Fussballfeldern.
Niedere Pflanzen, die nicht freiwillig zu wachsen schienen. Daraus ergaben sich Fragen. Wer lebte überhaupt freiwillig? Man tat so, als habe man, was mit dem Leben zusammenhing, selbst gewählt. Oder ein nahe stehender Mensch oder ein persönliches Schicksal habe einem geschenkt oder eingebrockt, was einem zustiess. Das Wort „Leben“

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