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Nicht schwindelfrei - Roman

Nicht schwindelfrei - Roman

Titel: Nicht schwindelfrei - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon Verlag
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zufloss.
    Der Weg war lang. Er lief über weite Strecken gerade vor sich hin, zog dann einen weiten Bogen. Etwas anderes fiel ihm nicht mehr ein. Er sah genauso müde aus wie der Wanderer, der seine öde Bahn ertrug.
    Paul dachte an die Ausdauer der Buschmänner. Sie waren zäher gewesen sogar als die Antilope, der sie nachstellten, einen Tag, eine Nacht, einen Tag, bis das Tier völlig erschöpft zu stolpern anfing und einknickte und nun wehrlos war.
    Der Weg war lang und ein Stück weit sumpfig. In einem Schutzgehege drängten sich hoch aufgeschossene Lümmel von Bäumen. Paul wusste die Namen: Ahorn, Esche. Die Weisstanne kam dazu. In der Umzäunung war ein Gewimmel, als hätte sich das junge Holz hier zusammengerottet, um zu überleben. Es gab in dieser Gegend längst keine Hasen mehr, denen die Füchse hätten gute Nacht sagen können.
    Als Paul aus dem Wald trat, stand er überrascht vor verzweigten Strassenbögen, die sich zwischen Höckern und Hügeln verliefen. Hinter einem Streifen Riedland sah er auf einer schnurgeraden Rampe eine Autobahn, die von Augenwinkel zu Augenwinkel reichte. Ihr Brausen ging von Ohr zu Ohr. Die tief stehende Sonne funkelte in Autoscheiben und im Lack gebogener Bleche. Die Fahrzeuge fuhren mit eingeschalteten Lichtern. Alle taten sich zusammen für eine Viertelstunde der äussersten Kostbarkeit.
    Wenn Paul sich seinen Ausflug vergegenwärtigte, zeigte die Welt sich ihm nicht so stabil, wie er sie eingeschätzt hatte. Verlässlicher blieb das Museum. Das holländische Haus mit dem Rosenspalier war da anzutreffen, wo es hingehörte.
    Er betrat den Garten von der Strasse her. Das Tor stand offen. Im Halbdunkel des Hausgangs stiess er auf das Mädchen. Es war grösser und ernster geworden, stellte Paul fest. Er grüsste heiter. Das Mädchen rührte sich nicht. Paul sah Lichtreflexe in ihren schattigen Augen. Mit der Hand berührte sie eine der hölzernen Säulen, die die gewölbte Decke trugen. Das Kind war sichtlich erleichtert, als die Mutter erschien. Die Hausherrin reichte Paul die Hand wie einem, der nach Jahren aus den überseeischen Kolonien zurückkam. Sie öffnete die Tür, die vom Gang direkt in den Wohnraum ging. Am Kamin sass die mit einer Näharbeit beschäftigte Mutter des Hausherrn. Ihr Sohn stand an einem Tisch am Fenster, über Pläne für ein neues, herrschaftlicheres Haus gebeugt, in das er mit der Familie und mit seinem aufblühenden Geschäft als Maler und Architekt umziehen wollte. Er begrüsste den Gast wohlwollend und fing auch gleich an, ihm den ausgebreiteten Plan zu erläutern. Pauls Kenntnisse der holländischen Sprache waren bis auf nutzlose Reste unzugänglich geworden. Übrig blieb der Anfang eines traurigen Liedes aus dem Dreissigjährigen Krieg:
    Neem me bij de hand
    k zal u gaan verklaren...
    Die Magd kehrte, einen vollen Korb am Arm, vom Markt zurück und mit ihr der jüngere Bruder des Mädchens, ein knapp dreijähriger Junge. Den Kopf schräg an der Hüfte der Magd, blickte der Kleine nun auf den Gast. Die Magd trug den Korb in die Küche, die Hausherrin folgte ihr. Der Junge griff nach der Hand der Schwester. Inzwischen gelangte der Hausherr, der seine Erläuterungen nur unterbrochen hatte, um Luft zu holen für die Fortsetzung, zur Möblierung des neuen Hauses. Sogar für das Bildnis seines verstorbenen Vaters war bereits ein Platz vorgesehen. Paul nickte und nickte und die beiden Kinder schauten ihm dabei zu. Die Alte am Kamin wandte den Blick nicht von ihrer Näharbeit. Da das Licht ungünstig war, hatte sie die Nase dicht am Gewebe.
    Ein Sommertag, der in den leeren Ausstellungssälen fast ganz zum Stillstand gekommen war. Die Bilder schwiegen. Sie schliefen sozusagen mit offenen Augen. Zwei von Pauls Kollegen unterhielten sich murmelnd. Als das Murmeln ausfiel, hinterliess es eine Lücke, die nach und nach geräumiger und sogar freundlich wurde.
    Paul, am Rand einer offenen Treppe, schaute hinab und hinüber zu Twomblys Leinwänden „Goethe in Italien“. Sie liessen an Hecken, Dickichte, schwere Schlagschatten denken, die einen in römischen Parks umgaben.
    Paul sann über Goethe nach. Goethes Vorliebe für die Liebe. Tasso und sein Elend und zwei, drei Frauen in einem Lustgarten in Modena oder Mantua. Ein hoch gewachsener Buchsbaum erinnerte an einen anderen
hoch gewachsenen Buchsbaum

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