Nicht so laut vor Jericho
längst hinausgehen und den Hund unseres Nachbarn mit Steinen bewerfen. Ein wenig abwesend streichelte er mich und murmelte ein paar Worte, die ungefähr besagten, daß ich mir nichts daraus machen sollte, keine roten Haare zu haben. Dann ließ er mich sitzen.
Nun, jedenfalls war er das schönste rothaarige Kind im ganzen Kindergarten. Er bestand darauf, seine roten Haare als Auszeichnung zu empfinden. Rothaarige sind sehr eigensinnig. Man muß sich nicht selten über sie ärgern. Es ist kein Zufall, daß man rothaarige Menschen nicht mag. Ich persönlich verstehe das sehr gut.
Meine Frau und ich beschlossen, die Sache nicht weiter zu verfolgen, zumindest nicht mit Gewalt. Wir ließen das Schicksal an uns herankommen.
Als draußen vor dem Haus die Rauferei ausbrach, wußten wir, daß es soweit war.
Ich stürzte hinaus. Mein Sohn Amir saß auf einem Fahrrad und heulte herzzerreißend, während die anderen Kinder – sofern man diese wilde Meute als »Kinder« bezeichnen konnte – von allen Seiten auf ihn eindrangen. Ich brach durch den stählernen Ring und drückte meinen kleinen Liebling ans Herz.
»Wer hat dich einen Rotkopf geheißen?« brüllte ich. »Wer wagt es, meinen Sohn zu beschimpfen?«
Die minderjährigen Monster blinzelten in die Luft und zogen es vor, nicht zu antworten.
Es war Amir selbst, der die klärenden Worte fand:
»Was Rotkopf, wer Rotkopf?« fragte er. »Ich hab mir Gillis Fahrrad ausgeborgt und er will es zurückhaben. Aber ich kann viel besser radeln als er. Warum läßt er mich nicht?«
»Das ist mein Rad«, stotterte einer der Knaben, wahrscheinlich Gilli. »Und ich hab’s ihm nicht geborgt.«
»So, du hast es ihm nicht geborgt? Weil er rote Haare hat, nicht wahr?«
Und ohne mich mit der widerwärtigen Brut weiter abzugeben, trug ich Amir auf starken Armen ins Haus. Während ich ihm das Gesicht wusch, tröstete ich ihn mit all meiner väterlichen Liebe:
»Du bist kein Rotkopf, mein Herzblättchen. Deine Haare spielen ins Rötliche, aber sie sind nicht wirklich rot. Bei richtigen Rotköpfen ist die ganze Nase mit Sommersprossen bedeckt. Du hast höchstens vier, und auch die nur im Sommer. Kränk dich nicht. Es hat rothaarige Könige gegeben. Und die schönsten Tiere, die Gott geschaffen hat, sind rothaarig. Zum Beispiel der Fuchs. Oder der Wiedehopf, wenn er zufällig rote Federn hat. Du aber bist nicht rothaarig, Amir. Glaub ihnen nicht, wenn sie dich Rotkopf nennen. Sei nicht traurig. Hör ihnen gar nicht zu, mein kleiner Rotkopf…«
Es half nichts. Die Überzeugung, daß rote Haare etwas Schönes wären, hatte sich in Amir festgesetzt und ließ sich nicht verdrängen. Er meint, daß Rothaarige anders seien als die anderen.
Daran ist nur der Kindergarten schuld, wo man den Kleinen solchen Unsinn beibringt.
Gestern ertappte ich ihn dabei, wie er vor dem Spiegel stand und seine Sommersprossen zählte. Meine Frau behauptet, daß er sich heimlich kämmt und bürstet und alle möglichen Frisuren für seine Haare entwirft.
»Warum?« seufzte sie. »Warum läßt man ihn nicht in Ruhe? Warum reibt man ihm ununterbrochen unter die Nase, daß er rothaarig ist?«
Ich weiß auf diese Frage keine Antwort. Aber ich hege das tiefste Mitgefühl für alle rothaarigen Kinder, besonders für jene, deren Eltern nichts dazu tun, um sie von ihrem Rothaar-Komplex zu befreien.
Nun ja. Nicht jedes Kind hat das Glück, solche Eltern zu haben wie unser Amir.
Durch den Kakao gezogen
Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Das israelische Kleinkind ist absolut korrumpiert. Es beherrscht den Haushalt und die Familie mit uneingeschränkter Macht, ohne jede Angst vor Konkurrenz und unter raffiniertem Einsatz seiner Fähigkeit, laut zu heulen.
Amir, unser rothaariger Tyrann, ißt nicht gerne und hat niemals gerne gegessen. Wenn er überhaupt kaut, dann nur an seinem Schnuller.
Erfahrene Mütter haben uns geraten, ihn hungern zu lassen, das heißt: wir sollten ihm so lange nichts zu essen geben, bis er reumütig auf allen Vieren zu uns gekrochen käme. Wir gaben ihm also einige Tage lang nichts zu essen, und davon wurde er tatsächlich so schwach, daß wir auf allen Vieren zu ihm gekrochen kamen, um ihm etwas Nahrung aufzudrängen.
Schließlich brachten wir ihn zu einem unserer führenden Spezialisten, einer Kapazität auf dem Gebiet der Kleinkind-Ernährung. Der weltberühmte Professor warf einen flüchtigen Blick auf Amir und fragte, noch ehe wir eine Silbe
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