Nicht tot genug 14
wurden. Ab und an saugte er an seinem rechten Handrücken.
Sophie hatte sich angewöhnt, nach potenziellen Selbstmordattentätern Ausschau zu halten. Mittlerweile war es für sie so selbstverständlich geworden, wie nach rechts und links zu schauen, bevor sie die Straße überquerte. Im Augenblick war sie jedoch nicht ganz so konzentriert.
Sie war nämlich spät dran, da sie noch etwas hatte erledigen müssen, bevor sie nach London fuhr. Halb elf, normalerweise wäre sie schon seit einer Stunde im Büro. Die Station Green Park tauchte aus der Dunkelheit auf, und die Türen öffneten sich mit einem Zischen.
Sie wandte sich wieder dem Drehbuch zu, das sie eigentlich schon gestern Abend hatte durchlesen wollen, bevor sie mittendrin abgelenkt worden war. Und wie sie abgelenkt worden war! Schon beim Gedanken daran wurde sie wieder geil!
Sie versuchte, in dem heißen, stickigen Wagen noch ein paar Seiten zu lesen. An der nächsten Haltestelle, Piccadilly, musste sie aussteigen und im Büro eine Beurteilung des Drehbuchs verfassen.
Die Story: Superreicher Daddy, dessen wunderschöne, zwanzig Jahre alte Tochter, sein einziges Kind, an einer Überdosis Heroin gestorben ist, heuert ehemaligen Söldner als Killer an. Killer erhält unbegrenztes Budget, um jeden umzubringen, der irgendwie mit dem Tod zu tun hatte – von dem Mann, der den Mohn gepflanzt hat, bis zum Dealer, der seiner Tochter den Stoff für den goldenen Schuss verkauft hat.
Kurz gesagt: eine Mischung aus Ein Mann sieht rot und Traffic.
Sie fuhren in Piccadilly Station ein. Sophie stopfte das Skript in ihren Rucksack, in dem auch eine Ausgabe von Harpers and Queen steckte. Eigentlich nicht ihr Geschmack, aber ihr Geliebter war ein paar Jahre älter als sie und sehr viel gebildeter, sodass sie unbedingt auf dem neuesten Stand sein wollte, was gutes Essen und Mode anging. Für ihn wollte sie genau die smarte Londonerin sein, die zu seinem übergroßen Ego passte.
Kurz darauf ging sie in der schwülen Hitze auf der schattigen Seite der Wardour Street entlang.
Sophie war siebenundzwanzig, hatte ein hübsches Gesicht mit frecher Stupsnase und langes braunes Haar, das ihr lose auf die Schultern fiel. Keine klassische Schönheit, aber sehr sexy. Sie trug eine leichte khakifarbene Jacke, ein cremeweißes T-Shirt, schlabbrige Jeans und Turnschuhe und freute sich wie immer aufs Büro. Allerdings spürte sie heute auch eine schmerzhafte Sehnsucht nach ihrem Geliebten, da sie nicht genau wusste, wann sie ihn das nächste Mal sehen würde. Und sie war eifersüchtig, weil er heute Abend zu Hause bei seiner Frau sein würde. Mit ihr im Bett.
Sie wusste, dass ihre Beziehung keine Zukunft hatte, dass er alles, was er besaß, nicht für sie aufgeben würde – obwohl er schon einmal geschieden war und aus seiner ersten Ehe zwei Kinder hatte. Dennoch vergötterte sie ihn.
Auch dass alles so heimlich ablief, gefiel ihr. Dass er sich schon Monate, bevor sie miteinander geschlafen hatten, vorsichtig umschaute, wenn sie ein Restaurant betraten. Bloß nicht gesehen werden. Sie liebte seine SMS. Seine E-Mails. Seinen Geruch. Seinen Humor. Dass er in letzter Zeit manchmal mitten in der Nacht unerwartet bei ihr auftauchte. Genau wie gestern. Dass er immer in ihre kleine Wohnung in Brighton kam, was sie eigenartig fand, da er die Woche über in London war und sich problemlos mit ihr in seiner Wohnung hätte treffen können.
Oh, Scheiße, dachte sie und tippte noch schnell eine SMS:
Vermisse dich! Ganz wild auf dich! Wahnsinnig geil! XXXX
Sie schloss die Tür auf und war schon zur Hälfte die schmale Treppe hinauf, als ihr Handy zweimal piepste. Sie las die ankommende Nachricht, die zu ihrer Enttäuschung von ihrer besten Freundin Holly stammte:
Hast du Zeit? Party morgen Abend.
Nein, dachte sie, morgen Abend möchte ich auf keine Party gehen. Weder morgen noch sonst irgendwann. Ich will nur –
Was zum Teufel wollte sie eigentlich?
An der Tür vor ihr prangte ein Logo: ein Zelluloidstreifen, der von einem Blitz durchkreuzt wurde. Darunter in fetten Großbuchstaben: BLINDING LIGHT PRODUCTIONS.
Sie betrat die schicke Bürosuite. Alle Möbel waren aus Acrylglas, die Teppiche in Aquamarin gehalten, und an den Wänden hingen Plakate der Filme, mit denen die Firma irgendwie zu tun gehabt hatte. Der Kaufmann von Venedig mit den Gesichtern von Al Pacino und Jeremy Irons. Ein früher Streifen mit Charlize Theron, der nur auf Video erschienen war. Ein Vampirfilm mit
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