Nicht Totzukriegen
ebenfalls. Bleiben zwei Studios im mittleren Preissegment. Beide sind gleich gut, gleich teuer und gleich um die Ecke. Ich kann mich mal wieder nicht entscheiden. Vielleicht sollte ich mir beide anschauen, mich ausführlich beraten lassen und dann erst auswählen. Aber ich kenne mich: Bis ich die Prozedur hinter mich gebracht habe, kann ich Bauch, Beine, Po vergessen und bin reif fürs Wassertreten im Altersheim.
Durch die halb geöffnete Tür sehe ich, dass auf dem Flur Yvonne ihren Wackelhintern Richtung Kaffeeautomat schiebt, ich nehme meine Tasse und folge ihr. Seit gestern fühle ich mich ihr gewachsen, erstaunlich, was ein einziger Abend alles verändern kann: Unanständig? Kann ich auch.
»Darf ich Ihnen kurz eine Frage stellen?«
»Gern …«, sagt sie, doch an ihren erschrocken aufgerissenen Augen sehe ich, dass ihr in dem Moment genau der gleiche Gedanke wie mir durch den Kopf schießt:
Haben Sie was mit meinem Mann?
»Betreiben Sie Fitness?«
»Ja.«
»Und wo?«
»Fine Fit. In der Jakobstraße.« Fein. Sie geht in eines der beiden Studios im mittleren Segment – da nehm ich doch direkt das andere! »Ich fühl mich da sehr wohl«, betont sie noch, aber da bin ich schon wieder auf dem Weg zurück in mein Büro.
Das Fitness-Studio liegt im dritten Stock eines Geschäftshauses. Es gibt zwar auch einen Lift, aber ich nehme die Treppe, schließlich bin ich hier, um mich zu bewegen. Schwungvoll sprinte ich die ersten Stufen hoch.
Als ich oben ankomme, bin ich völlig außer Atem. Ich ringe nach Luft. »Ping«, macht es neben mir, und die Fahrstuhltür öffnet sich. Heraus kommen zwei Mädels, Anfang zwanzig vielleicht. Sie sprechen kein Wort, sie schauen niemanden an, und sie sind so perfekt geschminkt, als wollten sie samstags auf eine Club-Party. Sie sind cool, ich japse. Das nächste Mal nehme ich auch den Fahrstuhl.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt mich freundlich eine der Mitarbeiterinnen im blau-braunen Polo-Shirt hinter der Theke. Ja, eine Sauerstoffflasche bitte, sonst muss ich sterben. Ich fühle mich, als hätte ich gerade den Mount Everest bezwungen, ich bin nur weniger durchfroren. Genaugenommen ist es sogar sehr heiß hier drin, ich schwitze, und mein 24-Stunden-Rundum-sicher-Deo macht die Grätsche. O Mann, ich hätte nicht gedacht, dass ich so unfit bin. Wie soll ich da eine Trainingsstunde überstehen?
»Ja«, keuche ich, »möchte … mich … anmelden.«
»Warten Sie, der Nouri kommt gleich«, lautet die Antwort. Der Nouri heißt laut Namensschildchen an seinem blau-braunen Poloshirt mit vollem Namen Noureddine. Er begrüßt mich mit kräftigem Händedruck, stellt sich vor und verspricht: »Ich zeig Ihnen alles.« Als Erstes lotst er mich allerdings zu einer Sitzgruppe. Prima, verschnaufen. Anhand eines Formulars stellt Nouri mir ein paar Fragen: Ob ich schon mal Sport gemacht hätte, was ich mir von dem Training erwarte und worauf ich besonderen Wert lege. Ich sage, dass ich allgemein etwas für meine Fitness tun möchte, besonders interessiert mich »Bauch, Beine, Po«. Er erklärt mir daraufhin, dass ich allgemein etwas für meine Fitness tun sollte, besonders empfiehlt er mir »Bauch, Beine, Po«. Ein echter Fachmann. Während Nouri mich durch die Räume führt, überlege ich, ob die Sache mit der Treppe vielleicht Kalkül der Betreiber ist, damit man gleich richtig konditioniert oben ankommt, sich unfit fühlt und den Mitgliedsvertrag blind unterschreibt.
Ich schwitze bereits von dem Besichtigungsgang, und ich wundere mich, dass hier keine Orchideen blühen oder bunte Kolibris durch die Luft schwirren, das Klima ist subtropisch. Aber die Räume machen einen sauberen Eindruck, sie sind hell und freundlich. Nur dass außer Nouri niemand lächelt. Es gibt die Kämpfertypen, die bald vor Erschöpfung vom Laufband kippen, die Modeschnepfen, die sich bei jeder Bewegung um ihr perfektes Make-up sorgen, und die Meditativen, die intensiv in jede Faser ihres Körpers hineinhorchen und sich sogar nach dem Händewaschen noch ausgiebig stretchen und dehnen. Meine Befürchtung scheint sich zu bestätigen: Fitness ist eine verdammt ernste Angelegenheit.
Macht nichts. Ich bin nicht zum Vergnügen hier. Oder nur ein bisschen. Ich will meinem Körper Gutes tun, und dafür bin ich bereit zu investieren, es ist wie ein Ablasshandel für die vielen Sünden: Schokolade, Vanilleeis, Hamburger, Fertigpizza …
Nouri sagt, ich hätte Glück: Weil momentan eine Sonderaktion läuft, gibt es für
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