nichts als die wahrheit
Überraschung nicht verbergen können.
»Man erfährt so einiges«, hatte der Mann gesagt und mit dem Kopf genickt. »Noch immer.«
Und dann hatte er sich vorgestellt. Horst Schmidt war Offizier des MfS gewesen, des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Das Lächeln in seinem spitzen Gesicht vertiefte sich, als er merkte, daß sie von ihm abrückte.
»Keine Angst, junge Frau, ich tu Ihnen nichts.« Sie haßte diesen Ton.
»Ich habe mein Leben lang Hunde abgerichtet. Wachhunde, Schutzhunde, Spürhunde – was Sie wollen. Schäferhunde. Dackel. Hunde wie sie hier – Sie wissen ja, wie fein die Nase so eines Tiers ist. Sie konnte Bernstein am besten identifizieren.«
Das Lächeln wurde noch breiter. Es konnte ihm nicht entgangen sein, wie entgeistert sie war.
»Wußten Sie nicht, daß Bernstein riecht? Da sehen Sie mal – das weiß kaum einer. Aber Bernstein ist Harz, in versteinerter Form. Und Harz riecht.«
»Amber …« sagte sie.
»Richtig. Amber heißt Bernstein.«
Er schien sich an ihrem ungläubigen Staunen zu weiden.
»Wir haben das Bernsteinzimmer gesucht – schon zu Mielkes Zeiten. Aber nach der Wende ging das erst richtig los … Nach allen Regeln der Kunst. Mit modernster Technik. Und mit bewährtesten Methoden.« Der Mann zeigte auf Amber, die ihn begeistert anzugrinsen schien.
»Sie war die beste – sie war die jüngste. Und sie wird wohl auch die letzte sein von unserer Hundestaffel …« Er schüttelte den Kopf.
»Ich habe aufgegeben. Mir wird das zu teuer. Und die moderne Technik … Das ist nichts für mich.« Wieder tätschelte er den Hund.
»Aber ich dachte – Peter Zettel …« Dem unscheinbaren alten Herrn war es gelungen, sie sprachlos zu machen.
»Ach, wissen Sie – der Junge hat mir gefallen. Schade um ihn.« Der Mann hatte versonnen gelächelt. »Wir alten Kameraden haben das ganz gern, daß uns einer mal zuhört, wenn wir von vergangenen Zeiten erzählen. Und Zettel« – der Stasimann schüttelte bewundernd den Kopf –, »Zettel war an allem interessiert.«
Amber hatte sich zu ihren Füßen niedergelassen und die Schnauze auf Annes Schuh, die Hinterpfote auf den Fuß von Horst Schmidt gelegt. Sie war auf ihre Weise ein treuer Hund.
»Peter Zettel hat sich Amber ›ausgeliehen‹, wie er immer sagte. Für seine eigenen Nachforschungen.« Das Lächeln des Mannes wurde dünn. »Sehr erfolgreich war er damit offenbar nicht.«
Horst Schmidt klopfte Amber ein letztes Mal auf den Kopf und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann stand er auf, strich sich die Hosenbeine glatt, verneigte sich mit höflicher Ironie vor Anne und ging. Amber hatte ihm ein leises Winseln hinterhergeschickt und war bei Anne geblieben – als ob sie den Befehl dazu erhalten hätte.
Ob das wohl jemals endet? dachte Anne und klopfte Bucephalos beruhigend den Hals, der hochgeschreckt war, als ein Rebhuhn vor ihnen aufflatterte. Würden die Verrückten dieser Erde auch noch in zwanzig, dreißig Jahren nach verschollenen Schätzen wühlen und dabei die ganze blutige Vergangenheit aus den Gräbern reißen? Ein preußischer König hatte dem russischen Zaren einst das Bernsteinzimmer vermacht. Die siegreichen Bolschewiki raubten es der ermordeten Zarenfamilie. Schließlich hatten es die Nazis aus Zarskoje Selo abtransportiert. Es wäre besser, dachte Anne, es würde nie gefunden werden. Es wäre besser, manches bliebe auf ewig verschollen.
Als sie zum Hof zurückkam, schnatterten die Enten und Gänse, und Rena saß auf dem Traktor und stapelte Heuballen. Am liebsten hätte sie ihre Tochter umarmt. Aber die hatte zu tun. Anne sattelte ab und brachte das Pferd auf die Koppel. Dann ging sie zum Haus und zog sich um – Leggins. Das alte karierte Hemd. Sandalen. Endlich wieder. Als sie nach unten kam, stürmte Rena zur Tür herein.
»Ich wollte dich doch wenigstens mal drücken!« Ihre Tochter war ganz außer Atem.
Gerührt nahm sie Rena in die Arme und atmete ihren Duft ein. Sie roch nach Heu, Pferdemist, Septemberluft und dem ganz besonderen Duft, den nur Rena hatte – ihre Tochter, die sich, kaum übermannte Anne die Rührung, von ihr losriß, »Ich muß!« sagte und wieder verschwunden war.
Anne stand verloren im Flur. Alles war vertraut hier auf dem Weiherhof- und alles war fremd geworden, fern gerückt, als ob ein Schleier über allem läge. Sie inspizierte sich im Garderobenspiegel. Sogar ihre Gesichtsfarbe hatte sich in den beiden letzten Wochen verändert. Sie war blaß geworden.
Auf das
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