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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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geflüchtet, noch in der Nacht. Sie atmete tief ein. Die Sonne wärmte noch durch das Laubdach des Waldes hindurch.
    Dann wurde ihr kalt. Der Kamm! Das war der Beweis …
    Der Charme des Gedankens verflüchtigte sich wie Tautropfen in Spinnweben unter der Mittagssonne. Beweis? Wofür? Der Kamm bewies nur, daß Lilly im Bunker gewesen war, weder wann noch mit wem. Und bei Licht betrachtet, bewies er noch nicht einmal das. Es hätte ihn auch jemand dort plaziert haben können – als falsche Fährte. Und vor allem – ihr wurde wieder kalt bei dem Gedanken: Wo war er überhaupt?
    Bucephalos beschleunigte seinen Trab, als am Ende des Waldwegs helles Sonnenlicht sichtbar wurde. Sie waren an der Flußaue angelangt. Anne pfiff nach den Hunden.
    Der Kamm hatte im Bunker auf dem Boden gelegen, sie hatte ihn im Lichtkegel der Taschenlampe gesehen, kurz bevor sie Zettel entdeckte. Sie hatte ihn aufgenommen und in die Jackentasche gesteckt. Das war ihr erst später wieder eingefallen, im Appartement; sie hatte Jon von ihrem Fund erzählt.
    Jon. Sie sah ihn vor sich, er lag auf ihrem schmalen Bett, die langen Beine ausgestreckt, die Hände unter dem Kopf, die dunklen Haare verstrubbelt und die braunen Augen …
    Anne seufzte auf. Nur nicht daran denken jetzt.
    Sie war aufgestanden, in den Flur gegangen, hatte den Kamm aus der Jackentasche geholt und ihn Jon gegeben.
    »Hmhm.« Er hatte den Kamm von allen Seiten betrachtet, mit unbewegtem Gesicht.
    »Sagt dir das was?«
    »Nicht richtig. Dir?« Für einen kurzen Moment war sie sicher gewesen, daß er ihr etwas verschwieg. Seine Augen hatten plötzlich in weite Fernen geblickt. Aber dann …
    Anne spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Dann hatte sie anderes beschäftigt. Der Kamm war vergessen. Sie wußte nicht, wo Jon ihn hingelegt hatte. Und würde es überhaupt etwas nützen, wenn sie ihn jetzt aus der Tasche zauberte?
    Sie ließ Bucephalos laufen, über die grünen Wiesen der Flußaue, auf das Wäldchen zu, über dem zwei Bussarde kreisten.
    Besser, sie fing gar nicht erst an damit. Man würde nur unangenehme Fragen stellen. Zum Beispiel nach dem Anlaß, der sie in den Bunker geführt hatte – just an den Ort, an dem ihr angeblicher Liebhaber elendiglich umgekommen war. Sollte sie etwa die Story vom treuen Hund erzählen, der verzweifelt nach seinem Herrchen suchte?
    Anne schüttelte den Kopf, was Bucephalos zum Anlaß nahm, wieder langsamer zu laufen. Das glaubte ihr keiner. Zumal Zettel gar nicht Ambers Herrchen war. Aber auch diese Geschichte würde ihr niemand glauben.
    Als sie es gestern endlich geschafft hatte, aus dem Reichstag zu fliehen, ohne weitere Fragen beantworten zu müssen – weder Staatsanwälten, Kripoleuten noch Journalisten –, und in ihr Appartement kam, hatte sie als erstes den Hund ausgeführt, der schon ungeduldig auf sie gewartet hatte. Sie waren am Haus der Kulturen vorbei Richtung Tiergarten gelaufen, als Amber zum zweiten Mal davonrannte – völlig unbeeindruckt von ihren Rufen.
    Wieder war sie dem Tier hinterhergelaufen. Sie hatte Amber nach dem Tod Zettels bei sich behalten und keinen Gedanken an Besitzverhältnisse verschwendet. Jetzt fragte sie sich beunruhigt, ob wohl jemand Anspruch auf den Hund erheben würde – Zettels Erben?
    Schließlich sah sie das Tier. Der Labrador stand schweifwedelnd vor einer Parkbank, den Kopf auf die Knie eines Mannes gelegt, den sie erst wiedererkannte, als sie näher gekommen war. Das spitze Gesicht, die dünnen Haare, die hellbraunen Hosen: Es war der Mann, der mit der Hündin geschmust hatte, als sie das erste Mal weggelaufen war. Zum Wasserspeicher am Prenzlauer Berg.
    »Entschuldigen Sie«, hatte sie atemlos gesagt. »Aber …«
    »Setzen Sie sich.« Der Mann klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich.
    Sie hatte sich tatsächlich gesetzt, wie ein folgsames Schulmädchen, und sich von Amber begrüßen lassen, die sich nicht recht entscheiden zu können schien, von wem sie lieber gestreichelt wurde. Der Mann klopfte dem Hund aufs schwarze Hinterteil.
    »Sie war die beste«, sagte er dann.
    »Kennen Sie den Hund?« Was für eine blöde Frage, hatte sie noch gedacht. Das war ja nicht zu übersehen.
    »Klar kenne ich Amber. Ich habe sie ausgebildet.« Der Mann spitzte die Lippen und machte Laute, als ob er ein Hundebaby vor sich hätte und keinen ausgewachsenen Labrador. Dann sah er sie an.
    »Sie können sie behalten, wenn Sie wollen. Zettel ist ja wohl tot.«
    Sie hatte ihre

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