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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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›so was‹.«
    »Aber die Todesanzeige?« Zum Zweifel in Wenzels Stimme mischte sich wieder ein leiser Hoffnungsschimmer.
    Wir hören eben nicht auf zu lieben, dachte Karen. Auch wenn das Liebesobjekt dessen nicht würdig ist – jedenfalls, wenn man sie fragte.
    »Er liebte die Wahrheit mehr als das Leben. Das Leben hatte ein Einsehen.« Sie kannte die Anzeige mittlerweile auswendig.
    »Vielleicht wollte er uns damit etwas sagen …«
    Sie hob die Hände und ließ sie wieder fallen.
    »Ich weiß es nicht. Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren.«
    Alexander Bunge hatte sich ihrer Meinung nach aus völlig nachvollziehbaren Gründen umgebracht. Daß er die Wahrheit ans Tageslicht kommen ließ, konnte man Peter Zettel nicht vorwerfen. Und selbst wenn er in bezug auf Bunge ausnahmsweise einmal gelogen hätte: Auch Zettel war tot. Es gab nichts mehr zu klären.

4
    Weiherhof
     
    Anne war schlaftrunken ins Bad getaumelt und hatte sich dabei den Zeh am Bett und das Schienbein am Stuhl gestoßen – offenbar konnte einem schon innerhalb von zwei Wochen das Allervertrauteste fremd werden. Schließlich hatte sie sich in Jeans und Pullover vor die Haustür gewagt, die Augen zusammengekniffen. Die frühen Sonnenstrahlen kamen ihr schmerzhaft hell vor. Die Hunde japsten wie zwei schwarze Derwische auf sie zu. Es war ein Wunder, daß sich Dagobert mit Amber verstand. Beide begrüßten sie mit wehendem Schweif, Dagobert stürmisch, Amber städtisch distanziert.
    Anne atmete tief die Luft ein, in der sich der warme Duft aus dem Pferdestall mit dem Geruch von frisch gemähtem Gras vermischte. Das hatte sie vermißt in Berlin, den Duft des Landlebens. Sie blähte die Nüstern. Und da war noch etwas, das den Weiherhof von ihrem Appartement in Berlin unterschied – der Krach. Das schräge Singen der S-Bahn und das ferne Rauschen, das man im Moabiter Werder von den Autos auf der Straße des 17. Juni hörte, kam ihr vornehm vor im Vergleich zum Heulen der Motorsäge, das vom Garten herüberdrang – begleitet von einem anderen vertrauten Geruch. Es war der Duft von frischgeschlagenem Holz.
    Sie ging dem fordernden Gejaule der Säge nach. Als sie um die Hausecke bog, blieb sie stehen vor Schreck. Der alte Apfelbaum, dessen schorfige, krüpplige kleine Äpfel ihr immer als die köstlichsten erschienen waren, die sie jemals gegessen hatte, lag am Boden, sein Wurzelgeflecht war aus der Erde gerissen, und seine großen Äste, die ihr im Frühling stets wie freundlich ausgebreitete Arme vorgekommen waren, lagen sauber abgetrennt daneben. Der Baum hatte schon schräg gestanden, als sie vor acht Jahren auf den Weiherhof gezogen war, sie hatte ihm mit Krücken und Stützen und Seilen ein Korsett verpaßt. Nun war er gefallen.
    Krysztof zersägte den Baum mit Hingabe, er war so vertieft in seine Arbeit, daß er sie gar nicht kommen sah. Endlich blickte er auf. Anne spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Des Baumes wegen? Oder weil es sie anrührte, in Krysztofs Gesicht zu lesen, daß er sich ehrlich freute, sie wiederzusehen?
    »Wurde Zeit«, sagte er und hielt ihr seine trockene, harte Hand hin. Als sich ihre Hände berührten, überkam sie das Gefühl, endlich wieder da zu sein: hier, mit beiden Füßen auf dem Boden, im Leben.
    Sie ging ins Haus zurück, zog sich die Reitstiefel an und lief den Gartenweg hinunter zum Pferdestall. Bucephalos grummelte und streckte den Kopf aus der Box, als er sie kommen hörte. Als sie bei ihm war, legte er ihr den braunen Kopf mit den starken Adern unter der dünnen Haut auf die Schulter und schnaubte. Sie tätschelte seinen Hals und murmelte Koseworte. Dann holte sie den Sattel aus der Sattelkammer und öffnete die Boxentür. Er ließ sich willig das Geschirr anlegen. Als sie auf dem Hof den Stiefel in den Steigbügel steckte, dachte sie für einen kurzen Moment, sie könnte auch das schon verlernt haben – und der Zauber, der alte Zauber würde nicht mehr funktionieren.
    Sie schwang sich hoch. Das Tier spitzte die Ohren und setzte sich in Bewegung, erst behäbig, dann mit verspieltem Übermut. Auf dem Weg zur Koppel schlossen sich ihnen freudig kläffend die beiden schwarzen Hunde an, gefolgt von Sammy, dem roten Setter.
    Nichts ist beruhigender als ein warmes Pferd und eine freundliche Hundemeute, dachte sie. Berlin war plötzlich weit weg – groß, schön und kalt.
    Als sie den Weg zum Wäldchen einschlugen, war das Glücksgefühl wieder da – vielleicht nicht ganz so stark, nicht ganz so

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