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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Käsebrot, das sie sich in der Küche schmierte, hatte sie schon nach dem ersten Bissen keinen Appetit mehr. Aber noch immer war ihr Stolz nicht besiegt, der ihr seit einer Stunde einredete, sie müsse schon selbst mit allem zu Rande kommen.
    »Herr Frei ist abgereist«, sagte die gepflegte Frauenstimme am Telefon, als sie sich endlich doch entschlossen hatte, im Kolleg anzurufen. »Habe ich Ihren Namen richtig verstanden – sind Sie Frau Burau?« In Annes Magen ballte sich ein kalter Klumpen.
    »Ja«, sagte sie.
    »Dann habe ich eine Nachricht für Sie.« Die Frauenstimme stockte. »Sofern ich das alles richtig verstehe.« Dann las sie die beiden Sätze vor.
    Anne verstand. Sie lächelte, als sie auflegte. Bloß nicht heulen, sagte sie sich. Dann rief sie Paul Bremer an.

5
    Frankfurt – Klein-Roda – Weiherhof
     
    Bremer war ein dummer Kerl. Ein verliebter Idiot. Ein alberner, überempfindlicher, beleidigter Armleuchter. Es beruhigte sie ungemein, auf ihren besten Freund zu schimpfen. Es beruhigte sie mindestens so sehr wie der Tacho, der behauptete, daß sie mit exakt 202 Stundenkilometern über die Autobahn bretterte. Ihr grüner Sportwagen nahm den Straßenzustand als persönliche Herausforderung an und gab jedes Loch und jede Bodenerhebung nach oben weiter. Ihr war heute jeder Stoß genehm. Das rüttelt auf, dachte Karen Stark.
    Sie hatte sich schon eine Stunde nach dem Anruf ins Auto gesetzt und war in die Rhön gefahren. »Es geht mich ja nichts an«, hatte Kosinski gesagt, auf seine unnachahmlich mittelhessische Art. »Aber er möchte Sie beide nicht verlieren.« Ob der gute Kosinski nicht ein bißchen allzusehr auf die Tränendrüse gedrückt hatte? Egal – sie war Paul eine Erklärung schuldig, und die sollte er auch bekommen, jetzt, wo sie glaubte, eine zu haben.
    Oder sollte sie besser sagen: die Annäherung an eine Erklärung? Denn völlig zufrieden war sie mit sich nicht. Gut, der Fall Bunge hatte sich erledigt – damit jedenfalls hatte sie von Anfang an richtig gelegen.
    Sie nahm die Abfahrt zur B 27 nach Bad Moosbach ein wenig zu schnell und sägte mit singenden Reifen durch die Kurve.
    Andererseits: Hätte sie sich vor diesem Fall nicht so lange gedrückt, wäre ihr früher aufgefallen, daß ein Erpresser selten nur ein Opfer hat. Daß der Tod von Hans Becker eine deutlich andere Handschrift erkennen ließ als die Denunziation von Alexander Bunge. Und daß Lilly von Peter Zettel in der Vergangenheitsform redete, als noch niemand wissen konnte, daß er tot war.
    »Drittes Gebot: Du sollst nicht vorschnell urteilen«, sagte sie laut, während sie über die Bundesstraße preschte.
    Hatte sie statt dessen bei Anne Burau überreagiert?
    »Man nennt das Überkompensation«, murmelte sie und nahm den Fuß vom Gaspedal. Fast hätte sie die schwarzweiße Katze überfahren, die todesmutig vor ihr über die Straße sprang. Ihre Abneigung gegen einen Päderasten mochte ihr Urteil getrübt haben – prompt hatte sie versucht, bei einer ihr nicht gerade unsympathischen Frau ganz besonders objektiv zu sein. Um das an anderer Stelle Versäumte wiedergutzumachen? Auch das war keine ermittlungstechnische Glanzleistung und im übrigen das Gegenteil von sachlich, unparteiisch und offen …
    Andererseits: Ohne sie, ohne ihre Intervention, hätte die Sache böse für Anne ausgehen können. Bei den Journalisten hatte das Gerücht bereits die Runde gemacht, Anne habe Lilly wegen eines bösartigen Artikels im ›Journal‹ umbringen wollen – und weil Lilly von ihrer Beziehung zu Peter Zettel wußte.
    Nein, Pauls Vorwurf war ungerecht. Eigentlich müßte Anne ihr sogar dankbar sein. Sie hatte Anne entlastet – nicht ohne zuvor, wie es sich gehörte, den Vorwürfen gegen sie nachzugehen. Sie hatte herausgefunden, wie es gewesen sein mußte. Es mußte so gewesen sein – auch wenn die Berliner Kripo in Abwesenheit gesicherter Beweise die Akte noch offenhielt.
    Es gab Indizien und Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrheit – nun, die wußten immer nur die Toten.
    Karen nahm die Abzweigung nach Klein-Roda, bog in die Dorfstraße ein und bremste vor Pauls Haus. Sie sah das Tier erst, als sie ausgestiegen und die Wagentür bereits zugefallen war. Der verdreckte braunweiße Bernhardiner trabte auf sie zu, als ob das seine Aufgabe im Leben wäre. Karen trat ein paar Schritte zurück, bis sie das Blech ihres MG hinter sich spürte. Hilfesuchend blickte sie um sich – das Dorf war wie ausgestorben. Wahrscheinlich hockte alles vor

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