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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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sich das noch einmal zu überlegen, Frau Kollegin«, sagte Staatsanwalt Manfred Wenzel mit sanfter Stimme. Karen drehte sich überrascht zu ihm hin. So kannte sie ihn gar nicht. So – friedfertig. So – demütig? Sie runzelte die Stirn. Sie erinnerte sich an keinen einzigen Fall, über den sie sich im Laufe der letzten drei Jahre nicht bis aufs Messer gestritten hätten. Und an kein einziges Mal, an dem die verkörperte Arroganz neben ihr um etwas gebeten hätte.
    »Ein Mann springt vom Glockenturm einer Kirche, schlägt unten auf und ist tot. Alles deutet auf Selbstmord hin – wo ist da das Problem?« Ihre Schritte hallten durch den engen Flur des Gerichtsgebäudes. Karen schaute auf die Armbanduhr. Wenn sie sich beeilte, schaffte sie es noch zum Maison Déco , dem Laden mit den französischen Stoffen. Ein Rosenmuster hatte es ihr angetan, ein luftiges, blumiges Etwas, sündhaft teuer, aber genau das Richtige für ihre Schlafzimmerfenster. Oder vielleicht – ein bißchen zu kitschig? Ein bißchen zu romantisch für eine – na ja, gereifte Persönlichkeit? Karen straffte die Schultern und reckte das Kinn.
    »Ich kann an einen Freitod einfach nicht glauben.« Wenzel hatte Beharrlichkeit in der Stimme. Sie guckte ihn wieder von der Seite an. Und den entsprechenden Ausdruck im Gesicht. Das konnte dauern. »Es gibt keinen Abschiedsbrief und auch keine anderen nachvollziehbaren Gründe. Der Mann hatte keine finanziellen Sorgen, wies keine Anzeichen von Depression auf …«
    »Und der Artikel im ›Journal‹?« Demzufolge war Bunge einer dieser widerlichen Kerle gewesen, die es gern sahen, wenn Kinder sich nackt vor der Kamera prostituierten. Wenn ich auf so was stünde, würde ich ernsthaft über Selbstmord nachdenken, dachte Karen.
    »Glauben Sie etwa, was in der Zeitung steht, Frau Kollegin?«
    Immer seltener, zugegeben. Aber … »Ich bin mir nicht sicher …«, begann sie zögernd.
    »Aber ich !« Die Heftigkeit, mit der er sie unterbrach, erstaunte sie noch mehr.
    »Intuition, Herr Kollege?« Sie legte leise Ironie in die Stimme. Normalerweise war er es, der sich über ihre ›Intuition‹ mokierte, wenn sie sich von etwas überzeugt gab, das sie nicht wissen konnte.
    »Erfahrung.« Manfred Wenzel spuckte das Wort förmlich aus.
    »Alles erfunden und erlogen also?« Sie ging langsamer, damit Wenzel rechtzeitig bei der Tür sein konnte, um sie ihr aufzuhalten.
    »Oder von irgend jemandem gezielt gestreut.« Wenzel hatte sich wieder gefaßt, neigte den Kopf mit dem blassen Gesicht unter den kurzgeschnittenen dunklen Locken und öffnete mit Schwung die Tür zum nächsten Gang, in dem sich ihr Büro befand. Karen rauschte hindurch und nickte dankend zurück. Dann ging sie langsamer. Vielleicht sollte sie auf ihn eingehen, statt ihm dauernd zu widersprechen. Dann könnte sie es wenigstens noch zum Laden mit der traumhaften Bettwäsche schaffen, auf die sie vor zwei Wochen ein Auge geworfen hatte.
    »Also gut«, sagte sie, öffnete die Tür zu ihrem Büro, stellte die Aktentasche auf einen der vielen Kataloge, die ihren Schreibtisch bedeckten und wedelte mit der Hand in Richtung Besuchersessel. »Was war es, wenn es kein Selbstmord war? Hat die Autopsie Anhaltspunkte für Fremdeinwirkung ergeben?«
    Sie hob den Prospekt mit den Badewannen im nostalgischen Stil von ihrem Sessel und setzte sich ebenfalls. Sie konnte sich nicht entscheiden zwischen zwei Modellen. Das eine hatte Löwenfüße, das andere …
    »… nur eine einzige Anomalie erkennbar.« Wenzel schaute sie erwartungsvoll an. Sie hatte nicht zugehört.
    »Also war er krank?« Jetzt sah er sie an, als ob sie nicht ganz bei sich wäre. War sie ja auch nicht. Sie war in Gedanken bei der Renovierung ihrer Wohnung, ein Spiel, das sie seit Wochen völlig ausfüllte. Am Montag kam hoffentlich das neue Bett. Am Dienstag …
    »Wie ich bereits sagte, Frau Kollegin« – Wenzel hatte die schlanken Hände mit den langen Fingern zu einem Zelt zusammengelegt, über das hinweg er sie strafend ansah. Sie nickte ihm um Entschuldigung bittend zu. »Der Mann war für sein Alter völlig gesund.«
    »Aber die Anomalie.« Karen guckte wieder auf die Armbanduhr. »Sie haben von einer Anomalie gesprochen.«
    »Na ja …« Ihr Gegenüber machte eine Pause, die ihr reichlich theatralisch vorkam. Sie pochte mit dem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte.
    »Und?« fragte sie. Nun komm schon, Wenzel …
    »Das Herz.« Wenzel guckte, als ob er ihr nicht zutraute, auch eines zu

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