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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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wenn er verlegen war. Hansi in der Grube.
    »Na, Hansi? Bist du weitergekommen mit deiner Geschichte? Du weißt ja: Wer schreibt, der bleibt!« sagte Eyring neben ihm mit dick aufgetragenem Mitgefühl in der Stimme.
    »Danke der Nachfrage«, hörte Becker sich wie aus weiter Ferne höflich antworten – statt dem blöden Kerl eins in die Fresse zu geben. Eyrings Geschichten hatten es auch schon lange nicht mehr auf die Seite 3 geschafft.
    »Man fragt ja nur«, murmelte Jo und klopfte ihm auf den Arm.
    Die Seite 3 war Lillys Revier, das sie sich huldvoll mit Isolde Menzi teilte. Isolde war keine Konkurrenz für Lilly E. Meier. Beide waren auf ihre Weise konkurrenzlos. Isolde war die knallharte Analytikerin und Lilly die Meisterin der Geschichten mit dem human touch – Kinder und Frauen zuerst. Sie hatte Lichterketten ausgelöst mit der Schilderung des Lebens einer Rollstuhlfahrerin, in deren Gesicht Neonazis ein Hakenkreuz geritzt hatten. Ihre Geschichte über den kleinen Mehmet, dessen ganze Familie ermordet worden war, hatte es bis in die Bundestagsdebatte geschafft, in der über einen Nothilfeeinsatz der Nato im Krisengebiet entschieden worden war. Wer weiß – vielleicht war es sogar Lillys Rührstory gewesen, die auch die zunächst skeptische Mehrheit der Abgeordneten von der Notwendigkeit des Eingriffs überzeugt hatte.
    Die beiden Frauen konnten unterschiedlicher nicht sein. Nicht nur äußerlich: Isolde war auffallend, dunkel, laut und weiblich – Lilly war klein, dunkelblond, sanft und jungenhaft. Die Menzi konnte einen Verstand haben wie ein Rasiermesser – Lilly schien manchmal überzulaufen vor Gefühl. Und während Isolde bei jedem Prozeß dabeigewesen war, den man nach dem Mauerfall den unwürdigen Greisen, den ehemaligen Herrschern der DDR machte, hatte die gute, zarte Lilly den Egon-Erwin-Kisch-Preis für ein Thema eingeheimst, das so abseitig war, daß ihr die gesamte Redaktion allein für die Idee jeden Preis der Welt zugestanden hätte. Lilly E. Meier hatte in monatelanger Kleinarbeit in Erfahrung gebracht, was aus den ehemaligen DDR-Grenzschützern und ihren treuen Begleitern, den Wachhunden, geworden war. Die Berichte aus der Welt der unverbrüchlichen Liebe zwischen Herr und Hund waren derart herzzerreißend, daß sogar Hans Becker sich bei einem Gefühl der Rührung ertappte. Seine Mutter hatte sich damals jede Nörgelei an der Geschichte verbeten. Sie war allein bei dem Gedanken an das Schicksal von Burschi, dem Schäferhund von Exgruppenführer Ewald, in Tränen ausgebrochen.
    Becker zeichnete Striche und Kringel auf seinen Block. Er ärgerte sich über Jo Eyring – aber mehr noch über sich selbst. Er hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen, einmal, nur einmal, nach einem außerplanmäßigen Glas Bier. Er hatte Peter Zettel davon erzählt, was ihn im Innersten antrieb bei seinem Beruf. Peter Zettel hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als es jedem in der Redaktion weiterzuerzählen. Seither erntete Becker Sticheleien und Seitenhiebe, wenn wieder einmal eine seiner Geschichten nicht ins Blatt gekommen war – wie eben von Eyring. Der war fast so schlimm wie Zettel. »Das große Ganze, gell, Hansi?« hatte Zettel letzte Woche verschwörerisch geflüstert. »Hier greift wieder ein Zahnrad ins andere, oder, Becker?«
    Hans Becker hatte dem Kollegen Zettel gestanden, daß er sich am wohlsten fühle als Rädchen in der Maschinerie. Er hatte das »Journal« mit einem alten Ozeanriesen verglichen, geschwärmt von den riesigen Pleuelstangen und Schwungrädern seiner Maschinen, die sich erst langsam, dann immer schneller in Bewegung setzten, vom Stampfen und Schlingern des Riesen und von der großen Fahrt, die nichts und niemand aufhalten konnte. (»Auch kein Eisberg?« hatte Zettel ironisch dazwischen gefragt.) So jedenfalls kam es ihm vor, wenn das Blatt zu jener gigantischen Kollektivleistung ausholte, für das es berühmt war: Vor wichtigen Wahlen, bei der Aufdeckung großer Skandale hatte jeder, auch noch die flatterhafteste Edelfeder, sein Gewicht in die Schale zu werfen fürs große Ganze. Dabeisein zu dürfen, war wichtiger als ein bißchen vorübergehender Ruhm auf Seite 3 – hatte Hans Becker Peter Zettel erzählt.
    Becker seufzte auf und griff zur Flasche mit dem Orangensaft, die vor ihm stand. Seine Kollegen tranken Kaffee, höchstens mal ein Mineralwasser. Nie Cola. Und abends Alkohol, meistens zuviel davon. Der Berufsstand Journalismus verzeichnete reihenweise vorzeitiges

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