nichts als die wahrheit
etwas seltsam für einen Journalisten? Ich meine: es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen?«
»Hansi sah das genauso.« Wenn Lilly lachte, sah man ihre Zähne blitzen – kleine, scharfe Mausezähne, dachte Karen.
»Einmal hätten sich die beiden fast geprügelt. ›Nenn mich noch einmal Lügner‹, hat Peter gebrüllt. Hansi war weiß wie eine Wand.«
Lilly nagte mit ihren schimmernden Zähnchen an der Unterlippe. Dann sah sie Karen an, als hätte sie einen Entschluß gefaßt.
»Für Hansi war sein Beruf sein Leben. Für Peter nur – der Weg zum Lebensunterhalt. Er war nicht leidenschaftlich–« Lilly ballte die Faust und machte Anstalten, sie zu schütteln. Sie sah Karen mit einem »Na, Sie wissen schon«-Lächeln an.
Lillys Reportagen waren all das – leidenschaftlich, vom Wahrheitsfieber beseelt. Karen hatte das immer bewundert.
»Sie meinen, er schreibt, was opportun ist, aber nicht, was der Wahrheit entspricht?«
»Na ja«, sagte Lilly. So weit wollte sie offenbar doch nicht gehen.
»Aber daß er seinen Hund allein zu Hause läßt …«
Karen mußte unwillkürlich lächeln.
»Burschi?« fragte sie, immer noch lächelnd.
»Der Hund heißt Amber«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Und ich frage mich, wer sich die Woche über um das Tier gekümmert hat.« Lillys Mund war schmal geworden.
Karen tippte mit der Spitze ihres Bleistifts auf das Blatt Papier. »Die Meldung über Alexander Bunge …«
Lilly nickte.
»Würden Sie die Information, auf der diese Meldung beruhte, für falsch halten, wenn Sie sicher wüßten, daß sie von Peter Zettel stammt?«
Lilly stutzte. Nach einer Weile nickte sie und sagte bestimmt: »Auf Zettels Unterstellungen sollte man nichts geben.«
Dann entschuldigte sie sich. Karen ließ sie gehen.
Als sie Frank Sonnemann eine Stunde später mit der Behauptung Lillys konfrontierte, daß Peter Zettel ein Lügner sei, schüttelte der ebenso bestimmt den Kopf.
»Das ist es ja, Karen, was ich nicht verstehe. Falschmeldungen sind nicht seine Art. Peter Zettel ist ein hervorragender Journalist, er war nie ein Märchenerzähler. Er ist im Unterschied zu Lilly nicht sehr gefühlsbetont …«
Karen hätte den Satz beenden können: »… aber sind das nicht alle im Vergleich zu Lilly?«
»Er quält gern, hat Isolde Menzi gesagt.«
»Ach ja, die Menzi …« Sonnemann blickte nicht auf. Nach einer Weile sagte er:
»Peter sammelt Herrschaftswissen. Er vergißt nichts, was er über eine Person in Erfahrung bringen kann. Er läßt gern anklingen, daß er eingeweiht ist.« Sonnemann klang bitter.
»Er weiß etwas – auch über dich?«
Karen hörte sich die ganze traurige Geschichte an, mit der Frank Sonnemann herausplatzte, bis er sich erschöpft in seinen Sessel zurücklehnte.
»Gott, im Grunde darf das natürlich jeder wissen, Karen.«
In seinem Gesicht las sie das Gegenteil.
Als er gegangen war, versuchte sie, ihre widersprüchlichen Informationen zu ordnen. Es schien plötzlich alles auf diese, auf die entscheidende Frage hinauszulaufen: War Peter Zettel ein Lügner? Oder nur ein Fälscher? Sie blätterte in ihrem Notizblock nach vorn, auf die ersten Seiten. Da war sie, die Todesanzeige Alexander Bunges mit dem seltsamen Text:
Du liebtest die Wahrheit
mehr als dich selbst
An ihr hing Dein Herz –
nicht am Leben.
Das Leben hatte ein Einsehen.
Welche Wahrheit hatte Alexander Bunge gemeint?
Karen griff zum Telefon. Eine Minute später kam Frau Novak zur Tür herein, nervös wie ein flatterndes Huhn. Aber ihre Bluse saß korrekt, die Bügelfalte der Hose war messerscharf – und sie bestätigte Sonnemanns Bild.
»Peter Zettel ist immer akkurat«, sagte sie mit strengem Blick auf Karens zerknittertes Kostüm. »Er ist pünktlich. Er hält Ordnung. Er diktiert druckreif. Und seine Manuskripte sind fehlerlos.«
»Meistens«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.
Karen fiel auf, wie unsicher, ja, verängstigt die Frau plötzlich aussah.
»Deshalb hat es mich ja so gewundert – ich meine: Er hat seit einer Woche nichts von sich hören lassen.«
Sie schien die einzige zu sein, die sich aufrichtig Sorgen machte um Peter Zettel.
Schließlich klappte Karen ihren Notizblock zu. Sie hatte nicht das Gefühl, auch nur einen Schritt weitergekommen zu sein. Aber was hatte sie anderes erwartet – von Journalisten?
8
Klein-Roda in der Rhön
Unter Fluchen schnitt Paul Bremer sich ein zweites Pflaster ab – das erste leckte schon. Wie ein Amateur
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