nichts als die wahrheit
antwortete er und versuchte zurückzugrinsen.
Der Hund saß zwischen ihnen und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden. Er sah an sich hinunter. Er war verstaubt und durchnäßt – genau wie sie.
»Was war los, da unten?« Sie versuchte, die Frage als die normalste von der Welt erscheinen zu lassen.
Jonathan schüttelte sich. »Altes Kriegsleiden«, sagte er, und das sollte ironisch klingen. Aber sie sah ihn aus kühlen blauen Augen an, und er merkte, daß sie ihm nicht abnahm, daß das ein Witz war.
Erst unter der Dusche war er vollends klar. Er ließ das heiße Wasser über sein Gesicht laufen und versuchte, sich alles vom Körper und von der Seele zu spülen – den Gestank und die Erinnerung. Es hatte nach Verwesung gerochen dort unten im Bunker. Was hatte sie gesagt? »Da unten liegt eine Leiche.«
Und plötzlich stand sie neben ihm unter der Dusche. Anne. Deren Wege ihm ein Rätsel waren. Deren Verbindung zu Peter Zettel ihm obskur erschien. Von der er immer noch nicht wußte, wer sie wirklich war. Er legte seine Arme um sie und spürte, wie sie zitterte. Vielleicht lag es am heißen Wasser, das von oben über sie fiel, daß sie sich plötzlich aneinanderklammerten wie Ertrinkende. Im nächsten Moment war es ihm egal, welches Spiel sie spielte und welche Rolle ihm wohl zugedacht war dabei.
Er preßte sie an sich, spürte ihre Brüste und ihre Arme um seinen Hals. Er legte ihr die Hände unter den Hintern, hob sie an und glitt in sie hinein, mit dem Gefühl einer anschwellenden und alles überflutenden Zärtlichkeit, die ihm in die Augen stieg, bis er nicht mehr wußte, ob es nur Wasser oder auch Tränen waren, die ihm über das Gesicht liefen. Ihr Mund schmeckte kühl, sie roch nach Lavendelseife, und die Laute, die sie von sich gab, übertönten alle anderen Stimmen und Geräusche in seiner Seele, seinem Herzen, seinem Kopf, bis er sich wieder brüllen hörte.
Diesmal aus Lust.
So trieb man die Dämonen aus, seit Menschengedenken. Immer schon. Überall.
Er hüllte sie in das große Handtuch, das neben der Dusche hing, trocknete sie ab und trug sie ins Bett. Ihr schlanker Körper lag federleicht an seinem, aber ihre Beine umschlossen ihn beim zweiten Mal mit einer solchen Kraft, daß es ihm für einen Moment den Atem verschlug.
Er schlief noch, als sie sich aus der Umarmung löste. Mit dem Finger zeichnete sie seine Lippen nach, er lächelte im Schlaf. Sie fuhr ihm über die Kehle, das Schlüsselbein entlang, die seidige Haut unterhalb der Achselhöhle hinunter bis zu der Bucht zwischen Hüfte und Bauch. Dann sah sie das Bein, das so gar nicht zum Rest seines Körpers paßte. Als sie ihm über die weißen Narben strich, über die tiefen Kerben oberhalb der Wade, über den verkrüppelten Fuß, hörte sie ihn aufstöhnen.
Anne streifte sich einen Pullover über und ging in die Küche. Amber lag an der Heizung unter dem Fenster, öffnete die Augen, klopfte sanft mit dem Schwanz auf den Boden, gab ein tiefes Hundeseufzen von sich und schloß die Augen wieder. Sie hatte vorhin eine ganze Dose Wellfleisch in sich hineingeschlungen – Anne dankte Renas Voraussicht, die sie sogar Fleischkonserven ins Freßpaket hatte legen lassen.
Sie ging auf nackten Sohlen zum Kühlschrank und öffnete eine Flasche Wein. Dann nahm sie Flasche und Gläser und setzte sich neben Jon auf die Bettkante. Es wurde Zeit, daß sie redeten.
Sie hatte ihr Glas halb geleert, als er die Augen öffnete – Augen, in denen noch immer etwas von dem Schrecken lag, dem er dort unten unter der Erde wiederbegegnet sein mußte. »Altes Kriegsleiden«? Warum nicht? Aber aus welchem Krieg?
»Libanon«, sagte er, als könnte er ihr sämtliche Fragen vom Gesicht ablesen. »1982. Illegale Aktion einer Antiterroreinheit der Marines. Wir haben einen Fehler gemacht. Ich bin übriggeblieben. Aber sie haben mich erst nach drei Tagen aufgesammelt.« Er ließ sein rechtes Bein unter der Bettdecke verschwinden, setzte sich auf und stopfte sich ein Kissen hinter den Kopf.
»Danach haben sie mich ausgemustert. Ich war nicht traurig darüber.«
Er betrachtete sie so, wie sie ihn betrachtete: mit gemischten Gefühlen von Nähe und Mißtrauen.
»Was willst du noch wissen?« fragte er schließlich leise.
Anne senkte den Kopf und goß ihm Wein ins Glas. Warum so jemand wie du Soldat wird, dachte sie. Warum du seit Tagen hinter mir her bist. Warum du mich so anschaust – zärtlich und wachsam zugleich. Sie reichte ihm das Glas und hob den Kopf.
Jon
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