nichts als die wahrheit
flüsterte sie.
Amber stand neben dem Amerikaner und schnüffelte an ihm. Er schien zu leben, sonst würde sich das Tier anders aufführen. Mit ein paar Schritten war sie bei ihm und kniete sich auf den Boden. Seine Stirn war kalt und schweißnaß, aber der Puls flatterte – er atmete. Die Hand, die er um ihr Handgelenk legte, zitterte leicht.
»Anne«, sagte er wieder und öffnete die Augen.
War er verletzt? Es war nichts zu erkennen. »Was machst du hier?« flüsterte sie.
Er schüttelte stöhnend den Kopf.
»Kannst du aufstehen?«
Er nickte. Seine Augen glänzten wie schwarze Schlitze, sein dunkles Haar war graugepudert vom Staub. Sie umfaßte ihn mit dem rechten Arm und versuchte ihn hochzuziehen. Mühsam rappelte er sich auf. Sie schleppten sich den Gang hinunter:
Anne bildete sich ein, die Luft würde bereits frischer werden und besser riechen. Ihr fiel auf, daß der Amerikaner das rechte Bein nachzog.
Nach ein paar Metern übergab er sich.
Sie wartete, bis er sich beruhigte, und spürte, wie sich die Mühle in ihrem Kopf wieder zu drehen begann. Was machte der Mann hier? Verfolgte er sie? Steckte er mit Bunge und Zettel unter einer Decke? Auf welcher Seite stand er?
Dann waren sie draußen, in balsamischer Luft. Niemand hatte sie erwartet. Die Gespenster waren unter der Erde geblieben. Über ihren Köpfen schwang einer der Kräne seinen Ausleger über die ehemaligen Ministergärten, das Scheinwerferlicht kroch an der schillernden Pfütze und dem Unkraut vorbei, weit genug von ihnen entfernt. Amber hatte sich ganz eng an sie geschmiegt.
Jonathan schnappte noch immer nach Luft. »Ich kann diesen Gestank nicht ertragen«, sagte er schließlich.
»Verwesungsgeruch«, sagte sie sachlich. »Da unten liegt eine Leiche.«
7
»Nach Peter Zettel wird gefahndet.«
Sonnemann ließ einen angekauten Bleistift auf seiner Schreibtischunterlage hin- und herrollen und nickte. Es kam Karen vor, als sei er seit gestern nachmittag geschrumpft. Plötzlich sah sie hinter dem massigen Mann wieder den zarten Knaben, der er damals gewesen war – damals, als sie sich beinahe in ihn verliebt hätte. Karen seufzte.
»Ich möchte mit deinen Mitarbeitern sprechen.«
Wieder nickte Sonnemann.
»Und – Frank?«
Seine Augen waren müde, als er sie ansah.
»Nimm es nicht so schwer.« Sie stand auf und ließ ihn allein.
Die Sekretärin bat sie, den Mann zu ihr ins Konferenzzimmer zu schicken, der ganz oben auf ihrer Liste stand. Thomas Schiffer, der Journalist, der die Meldung über Bunges sexuelle Neigungen ins Blatt gebracht hatte.
»Sie können sich ruhig setzen«, sagte sie, als er trotzig wie ein Schuljunge vor ihr stand. Widerwillig ließ er sich in einen Stuhl fallen – fehlte nur noch, daß er die Füße auf den Tisch gelegt hätte.
»Ich hab’ doch schon alle Fragen beantwortet. Die haben uns stundenlang gelöchert, die Bullen.«
Sie lächelte ihn milde an. »Ich weiß. Sie müssen meine Fragen nicht beantworten.«
»Und wenn ich das auch nicht tue?«
Karen lächelte wieder und hob die Schultern. Nach einer Weile seufzte er theatralisch auf und sagte:
»Na schön. Was gibt’s?«
Karen ließ ihn zappeln, bevor sie ihm ihre erste Frage stellte. »Hat Peter Zettel was gegen Sie?«
»Wieso?« Schiffer brauste auf. Dann schien er zu begreifen, worauf sie hinauswollte.
»Er hat gegen jeden was – zwar nicht so direkt. Aber er stichelt gern.«
»Gibt es bei Ihnen etwas zu sticheln?«
Interessiert sah Karen zu, wie der Mann erst blaß und dann rot wurde. Erst nach längerem Bohren machte er endlich den Mund auf. Peter Zettel – wenn er es denn war, der Schiffer die gefälschte Meldung auf den Schreibtisch gelegt hatte, aber daran zweifelte sie eigentlich nicht mehr – hatte offenbar genau gewußt, warum er sich ausgerechnet diesen Mann ausgeguckt hatte. Ein Mann, der weit besser formulieren als denken konnte. Sie sah nicht ohne Genugtuung, daß er den Kopf hängen ließ, als sie ihn endlich wieder hinausschickte.
Isolde Menzi rauschte ins Konferenzzimmer, als ob sie zur Triathlonweltmeisterschaft antreten wollte. Die Frau wirkte von Kopf bis Fuß kampfbereit.
»Zettel?« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Ich dachte, es ginge um Hans Becker.«
Karen lächelte sie schweigend an.
»Also gut.« Die Menzi holte eine verknautschte Zigarettenschachtel aus den Tiefen ihrer Handtasche und sah fragend hoch. Karen schob ihr den Aschenbecher hin.
»Zettel ist –« Sie hielt ein signalrotes Feuerzeug an ihre
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