nichts als die wahrheit
sah sie noch immer an. »Erst ich, dann du, okay?«
Sie nickte. Es gab sowieso nichts mehr zu verbergen.
Nach einer Stunde machte sie die zweite Weinflasche auf. Es waren seltsame Wege, auf denen aus dem Enkel einer jüdisch-deutschen Großmutter ein Waffennarr und aus dem Waffennarren ein Elitesoldat und aus dem Soldaten ein anerkannter Kunsthistoriker geworden war. Und es waren merkwürdige Zufälle, die just diesen Mann nach Deutschland kommen ließen, in einem Moment, in dem die Vergangenheit noch einmal aufzubrechen schien, bevor sie endgültig eingeebnet wurde. Aber war das ein Zufall?
»Es gibt – alte Verbindungen«, sagte Jon und ließ sie nicht aus den Augen. »Ich hatte den Auftrag, nach Peter Zettel zu suchen. Statt dessen traf ich auf dich. Du mußt zugeben, daß das einen gutgläubigen Mann aus Chicago verwirren kann.«
Er drehte das Glas zwischen den Fingern und sah sie wieder an, als wüßte er nicht genau, wie weit er ihr trauen konnte.
»Ich bin dir gefolgt. Ich dachte, du führst mich zu ihm.«
Anne spürte, wie sein Mißtrauen sie ungeduldig machte. Hatte sie nicht mindestens genausoviel Grund, seine abenteuerliche Geschichte zu bezweifeln?
»Und warum ist ein Kunsthistoriker aus Chicago mit ›alten Verbindungen‹« – sie gab sich Mühe, ironisch zu klingen – »warum ist ein Amerikaner so an einem deutschen Journalisten interessiert, daß er einer fremden Frau hinterherläuft – bis unter die Erde?«
Ihr war mulmig zumute. Sie konnte es sich langsam denken.
Endlich nahm er einen Schluck Wein. Dann setzte er das Glas ab.
»Peter Zettel hat auf dem internationalen Markt der Sammler, Waffenfreaks und Politfanatiker ein paar interessante Dinge angeboten.« Seine Stimme veränderte sich, er sprach plötzlich härter und schneller.
»Panzerfäuste. Handgranaten. Gewehre. Pistolen. Orden und Abzeichen. Uniformteile. Stahlhelme. Knochen. Devotionalien aus dem Krieg. Aus Nazideutschland.«
Das war schlimmer, als sie befürchtet hatte. Zettel war Alexander Bunge zu Gefallen gewesen, soweit hatte sie richtig gelegen. Aber er hatte sich nicht darauf beschränkt, die aufgefundenen Bunker leerzuräumen, damit nichts den Neuaufbau der Hauptstadt aufhalten konnte. Er hatte auch noch all das, was er untertage fand, verhökert.
Was für ein mieses, schmutziges Geschäft. Der logische Gedanke, der sich daran anschloß, war ihr womöglich noch widerlicher: Hatte er sich etwa vorgestellt, auch sie würde ihm dabei helfen? Williger womöglich als Bunge?
»Er hat das Zeug kiloweise angeboten – im Internet. Er hat direkt an Militariahändler geliefert. An bekannte Rechtsradikale.«
Jon sah ihr in die Augen, als ob er nach einer Reaktion suchte, die ihn befremden könnte.
»Und das mögen wir nicht«, sagte er schließlich.
Sie wich seinem Blick aus. Nur kurz fragte sie sich, wer wohl hinter dem »wir« steckte, von dem da so selbstverständlich die Rede war. Die amerikanische Regierung? Die hatte in Berlin nichts mehr zu sagen. Aber sie war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.
Schließlich sah sie ihn wieder an. Warum sollte sie ihm nicht sagen, was sie zu wissen glaubte?
»Peter hatte offenbar Zugang zu jeder Baustelle in Berlin – zu jedem Bunker. Zu jedem Waffendepot. Zu jedem Fundort solcher Bodenschätze.« Sie hatte einen trockenen Mund, als sie das sagte.
»Und die Sache wird noch besser: Die diskreten Hinweise, wo es etwas zu finden geben könnte, kamen wahrscheinlich aus dem Büro des Vorsitzenden der Baukommission des Ältestenrates des Bundestags – aus meinem Büro.« Anne korrigierte sich.
»Aus dem Büro meines Vorgängers. Und der hat sich vor ein paar Wochen zu Tode gestürzt.«
Sie verstand den Widerwillen in Jons Gesicht. Nichts anderes empfand sie selbst. Er leerte sein Glas in einem Zug.
Dann nickte er. Sein Blick ging in weite Fernen. Nach einer Weile sah er sie wieder an, mit gerunzelter Stirn.
»Freund Zettel hat noch etwas anderes angeboten. Etwas, das auf dem Markt der Perversen drei Millionen Dollar wert ist. Eine Waffe, eine Walther PPK, eine im Grunde stinknormale Pistole. Nur die mit der Seriennummer 803157 ist etwas Besonderes. Es ist die, mit der Adolf Hitler sich umgebracht hat.«
Anne merkte, wie sich ihre Gedanken überschlugen. War das der Grund, warum Bunge aus dem Weg geräumt werden mußte? Ein Drei-Millionen-Dollar-Grund?
»Meine Aufgabe bestand darin, zu überprüfen, ob Zettel das nur behauptete – oder ob es stimmte. Ob Hitlers
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