nichts als die wahrheit
knallrot.
Anne war mit ein paar Schritten am Schreibtisch der Zang. Die Frau zuckte zurück, als ob sie Tätlichkeiten erwartete. Anne setzte sich auf den Schreibtisch, schlug ein Bein über das andere, wippte mit dem Fuß und registrierte mit Belustigung, daß plötzlich nicht mehr sie die Verängstigte war, sondern die andere. Die Sekretärin hatte ihren Schreibtischstuhl so weit wie möglich nach hinten gerollt und hätte sich im Bemühen um Abstand sicherlich noch weiter entfernt, wenn dort nicht der Aktenschrank gestanden hätte.
In einer plötzlichen Eingebung griff Anne nach dem Terminkalender, der am Kopfende des Schreibtischs lag. Vergebens versuchte die Zang, ihn zu fassen zu kriegen.
Anne fächelte sich mit dem Kalender Luft zu. »Sie telefonieren zu gern, nicht? Deshalb haben Sie auch immer Peter Zettel angerufen, wenn wieder einmal etwas zu erledigen war, oder?«
Die andere hatte den Mund zu einem dünnen weißen Strich zusammengepreßt.
»Peter Zettel kam gern. Peter Zettel räumte auf. War es so?«
Genauso mußte es gewesen sein. Zang telefonierte, Zettel entsorgte und der sehr verehrte Dr. Alexander Bunge blieb sauber dabei.
»Wußte Alexander Bunge davon? Hat er den Deal stillschweigend geduldet? Und hat er irgendwann Skrupel bekommen?«
Anne legte den Kalender behutsam wieder zurück auf den Tisch.
»Er hat den Denkmalschutz angerufen, stimmt’s?«
Die Zang starrte sie an wie ein Karnickel die Schlange. Dann nickte sie.
Anne stand auf und ging hinüber zum Fenster. Das war der Fehler in Peters Rechnung gewesen. Er hatte nicht einkalkuliert, daß es selbst unter Politikern noch Menschen mit einer Restgröße Anstand geben konnte.
»Ich weiß nicht, wieviel Sie an dem ganzen Dreck verdient haben – und es ist mir auch egal.« Anne merkte, wie ihr die Galle hochkam, als sie die Erleichterung im Gesicht der anderen sah.
»Aber kommen Sie bitte der Kündigung zuvor, Mechthild.« Auch der letzte Rest Mitleid, den sie mit der Frau hätte haben mögen, war verflogen.
Sie ging hinüber in ihr Zimmer, schaufelte den Packen Papier vom Schreibtisch in die Aktentasche, ging an der Zang vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, knallte die Tür hinter sich zu und lief wie befreit die Treppe hinunter.
War die Frau Peter Zettels Charme erlegen? Sie schüttelte sich bei dem Gedanken. Oder ging es nur um das alleinseligmachende, allgültige Medium, um Geld? Und wie anständig war Alexander Bunge wirklich gewesen? Er hatte die schmutzige Arbeit andere erledigen lassen. Andererseits: Er hatte den Preis dafür gezahlt. Den höchsten.
Als sie auf den Platz vor dem Reichstag einbog, fuhr ihr eine Sturmbö ins Gesicht und in die Haare. Sie blickte nach oben. Die grauen Wolken waren an ihren Rändern zu einem kränklichen Grüngelb übergewechselt, es sah nach Gewitter aus. Sie hob das Gesicht in den Wind. Ein Wolkenbruch, dachte sie, täte jetzt gut. Ein Platzregen. Ein reinigendes Donnerwetter.
Sie ahnte nicht, was sich im Reichstag zusammengebraut hatte, als sie an der Pforte ihren Ausweis zeigte und dann mit vollem Schwung ins Foyer lief.
Scheinwerfer gingen an. Vor ihr stand eine erwartungsfrohe Meute. Ein Wald von Mikrofonen, Fernsehkameras und Fotoapparaten war auf sie gerichtet. Anne blieb abrupt stehen. Dahinter weiße Gesichter, in denen sich Neugier mit Sensationslust stritten. Für einen Moment war es gespenstisch still. Dann brachen die Dämme.
»Hat Peter Zettel Ihnen den Weg in den Bundestag freigeräumt?« fragte eine Blondine im lindgrünen Kostüm mit großen Kulleraugen und Haifischlächeln. Der Mann neben ihr hielt Anne das Mikrofon so nah vors Gesicht, daß sie kaum noch etwas anderes erkennen konnte – außer den Augen, den vielen aufgerissenen, glänzenden Augen.
»Was hatten Sie für ein Verhältnis zu ihm? Waren Sie ihm hörig?«
Was für ein lächerliches Wort, dachte sie. In den Augen der Frau, die diese Frage gestellt hatte, glaubte sie ein ganzes Panoptikum schmutziger Phantasien zu erkennen.
»Hat er auch Sie erpreßt?« fragte ein schlanker, jungenhafter Mann mit braunen Haaren und scheinbarem Mitleid in der Stimme, der sie entfernt an Peter Zettel erinnerte.
»Mußte er deshalb sterben?«
»Sie wissen doch, daß er tot ist, oder?« fragte ein anderer.
»Aber Sie kennen sich ja aus mit toten Männern …« Die Blonde mit dem Haifischlächeln hatte die Stimme triumphierend gehoben.
Anne merkte, wie ihre Knie weich zu werden begannen. Sie fragen so, wie sie immer
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