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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Selbstmordwaffe wirklich gefunden wurde, vierundfünfzig Jahre, nachdem sie jemand vergraben hat. Unter den Trümmern des Lehrter Bahnhofs.«
    Jon stellte das Glas ab und zog sie neben sich. Sie lehnte sich erst widerstrebend, dann mit einem tiefen Seufzer an seine Schulter.
    »Mir ist die Vorstellung gräßlich, daß die alte Knarre irgendwo als Kultgegenstand benutzt werden könnte, auf schwarzen Messen, wo man die alten Schwüre deklamiert und die bluttriefenden Fahnen hißt …«
    Jons Stimme war leise geworden. »Andererseits: Ich halte es für fast unmöglich, daß die Waffe wirklich wieder aufgetaucht ist.«
    »Vielleicht hat Zettel eine Fälschung angeboten?«
    Er hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.
    »Schon möglich. Seriennummern kann man fälschen, wenn man es geschickt anstellt.«
    »Für mich sieht eine Knarre wie die andere aus.« Anne dachte an all die Zettels der Welt – und an die Mehrheit der Dummen, die immer wieder auf sie hereinfielen.
    » Keine Waffe ist wie die andere. Die Seele einer Waffe ist einzigartig.«
    »Seele?« Er lachte, als er sie ungläubig schnauben hörte.
    »Ein gezogener Lauf weist Rillen auf, das sind die Züge, und die nennt man die ›Laufseele‹. Diese Züge hinterlassen Spuren auf dem Geschoß. Man kann mit bloßem Auge erkennen, ob Geschosse aus dem gleichen oder aus verschiedenen Läufen stammen. Es gibt auf der ganzen Welt keine zwei Waffen mit identischen Zügen.«
    Hier spricht der Waffennarr, dachte Anne und spürte, wie ihr unbehaglich wurde dabei.
    »Es gibt noch eine weitere Besonderheit einer Walther PPK. Ihr Sicherungsmechanismus erzeugt charakteristische Abriebspuren auf den Geschoßhülsen. Nur bei dieser Waffe bleibt der Verschluß nach dem letzten Schuß offen.«
    »Du könntest die Waffe also erkennen, wenn du sie in der Hand hältst?«
    »Ja und nein. Ob das Alter und das Modell und die Seriennummer stimmten – das kann ich feststellen. Aber alles andere …«
    Er zuckte mit den Achseln.
    »Das Geschoß, mit dem Hitler sich erschossen hat, wurde nie gefunden. Wir wissen nicht, ob es irgendwo auf der Welt eine Kugel gibt, von der mit Sicherheit behauptet werden kann, daß sie aus Hitlers Walther PPK abgeschossen wurde. Wir haben also keine Vergleichsmöglichkeit.«
    Er zog sie noch näher zu sich heran.
    »Ich nehme an, daß er eine Fälschung angeboten hat. Aber ob Fälschung oder Original: Entscheidend ist, daß er sie nun nicht mehr meistbietend versteigern kann …«
    »Weil er tot ist.«
    »Genau.«
    Nach einer Weile sagte sie: »Es war Peter Zettel – die Leiche im Bunker.«
    »Ich dachte es mir«, murmelte er, den Mund in ihren Haaren.
    »Gestorben in den Überresten des Führerbunkers …«
    Sein Mund wanderte tiefer, ihren Hals hinunter.
    »Und die Walther PPK?« fragte sie nach einer Weile.
    »Was ist damit?« Seine Lippen umkreisten ihre Brust.
    »Ich meine: Wo ist sie jetzt, das Original oder die Fälschung?«
    »Hoffentlich unauffindbar.« Sie bäumte sich auf, als er sie küßte, dort, wo es sich am süßesten anfühlte.
    Dann hörte sie auf zu fragen. Nach einer Weile zog sie ihn hoch zu sich und ließ ihn ein. Als kein Wort mehr zwischen sie paßte, schloß sie die Beine um ihn, bog den Hals zurück und ließ sich von seinem fließenden, drängenden Rhythmus davontragen.
     
    Diesmal wachte er als erstes auf. Die Kerzen, die sie vorhin angezündet hatte, waren heruntergebrannt. Er betrachtete Anne lange und spürte einen vertrauten Schmerz – er würde bald gehen müssen und wäre doch gern geblieben. Dann bettete er ihren Kopf an seine Schulter und streichelte sie wach. Er mußte mehrmals fragen, bis sie ihm endlich ihre Geschichte erzählte – mit der Verlegenheit all jener, die auch noch Schuldgefühle haben, weil jemand sie verraten, betrogen und zum besten gehalten hat – ihr Ehemann. Und Peter Zettel.
    »Aber was das schlimmste ist …« Sie hatte sich aufgesetzt, die Haare verwuschelt, die Augen tieftraurig.
    »Sie läßt einen nicht los – diese Krake. Diese verdammte, elende Vergangenheit. Du stolperst an allen Ecken und Enden über sie. In dieser Stadt. In diesem Land.«
    »Laß ihr keine Macht über dich.«
    »Das sagst du ?«
    Ausgerechnet einer, den seine Vergangenheit vor ein paar Stunden mit Schwachheit geschlagen und zu Boden geworfen hatte? Er sah sie mit wiedererwachter Zärtlichkeit an. Am liebsten würde er ihr das Gewicht der Geschichte von den Schultern nehmen.
    »Komm in der Gegenwart an«, sagte er

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