Nichts als Erlösung
wieder, du entschuldigst mich.« Reiermann verzieht das Gesicht und stiefelt zu einem Kerl Marke Schwiegermutterliebling hinüber. Die LackSandaletten wippen im Takt seiner Schritte. Hübsch. Sehr hübsch. Manni duckt sich unter dem Absperrband durch und läuft auf den Sichtschutz zu. Die Kamera des Reporters klickt in seinem Rücken.
»Vorsicht, hier lang. Es sind schon genug Spuren zertrampelt worden.« Einer der Kriminaltechniker führt ihn in einem Bogen hinter den mannshohen Sichtschutz, wo es nach Kotze und Blut und Schweiß stinkt, wo weitere Kollegen in weißen Overalls den Boden nach Spuren absuchen und die Rechtsmedizinerin Ekaterina Petrowa und Judith Krieger einträchtig neben dem Opfer knien.
Es ist ein bemerkenswertes Szenario, durchaus nicht ohne Charme. Die Krieger sieht nackt aus, anders lässt es sich nicht beschreiben. Als Einzige trägt sie keine Schutzkleidung, sondern Shorts und ein für ihre Maßstäbe äußerst freizügig geschnittenes Top, dessen Design nicht einer gewissen Ironie entbehrt, denn in Brusthöhe ist der Umriss einer Pistole aufgedruckt. Die winzige Russin steckt zwar brav in einem Overall, wirkt aber, als drohe sie darin verloren zu gehen. Was sie sonst noch anhat, ist nicht zu erkennen, aber ihre Haare, die sie neuerdings wachsen lässt und nicht mehr so heftig mit Farbe malträtiert, sind mit signalrosa Plastikspangen aus der Stirn geklemmt. Auch ihre Lippen glänzen pink, ein recht eindeutiger Hinweis darauf, wem Reiermanns Sandaletten gehören.
Manni grinst, doch ein Blick auf das Opfer und das Gemisch aus Blut, Knochen und Hirnmasse, in das sich dessen Gesicht verwandelt hat, lässt ihn gleich wieder ernst werden.
»Der Tod ist zwischen null und ein Uhr eingetreten«, verkündet die Petrowa würdevoll und bedenkt ihn mit einem ihrer unergründlichen Mongolenblicke.
»Also hat er hier zwei, vielleicht sogar drei Stunden gelegen, bevor die Amerikaner ihn fanden.« Judith Krieger richtet sich auf.
Manni schaut auf die Rheinpromenade, dann zu den Altstadtkneipen.
»Unwahrscheinlich, dass ihn außer den Amerikanern niemand bemerkte, oder?«
»Es war relativ dunkel hier bei der Brücke. Vielleicht hat man ihn für einen Betrunkenen gehalten, der seinen Rausch ausschlief, und deshalb einfach nicht näher hingesehen.«
Die Krieger streicht sich verschwitzte Locken aus der Stirn. Sie ist sehr blass, die Sommersprossen wirken auf ihrer Haut wie dunkle Kleckse, die sich bis ins Dekollete runterziehen, vielleicht sogar auf den Busen. Manni beugt sich über den Toten und betrachtet das runde Einschussloch am Hinterkopf. Ein Nahschuss, vermutlich sogar aufgesetzt. Erst beim Austritt hat das Projektil seine ganze Zerstörungskraft entfaltet und Stirn und Wangenpartie regelrecht weggesprengt.
Er schaut hoch zur Krieger, deren Blick in die Ferne geht. »Jemand muss den Schuss gehört haben. Die Biergärten und Kneipen haben doch bis mindestens ein Uhr auf, die Diskotheken noch länger. Die Nachtschiffe legen an. Es muss hier von Zeugen gewimmelt haben.«
»Zeugen, ja.« Sie starrt auf den Rhein, als sähe sie den zum ersten Mal. »Gegen Mitternacht gab es auf der Deutzer Rheinseite ein Feuerwerk. Auch jeder Güterzug auf der Brücke macht ordentlich Lärm.«
»Du meinst, der Täter hat so einen Moment abgewartet, und niemand hat den Schuss gehört.«
»Und danach hat er alles einkassiert, was uns eine schnelle Identifizierung des Opfers erlauben würde. Brieftasche. Schlüssel, Handy …«
Manni betrachtet den Toten, versucht es sich vorzustellen. Die Touristen und Passanten, das pralle, quirlige Leben einer Großstadtsommernacht, und mittendrin das Warten im Schatten der Brücke, die Panik des Opfers, den Schuss.
»Ziemlich kaltblütig, oder? Verdammt viel Risiko.«
»Ja.«
»Das Opfer könnte sich gewehrt oder zumindest um Hilfe gerufen haben.«
»Mit einer Pistole am Hinterkopf?«
»Okay, okay, vielleicht hast du recht. Das Opfer hält also still. Aber trotzdem war das Risiko, gesehen zu werden, für den Täter sehr hoch.«
»Vielleicht wollte er das ja so.«
»Wollte was?«
»Risiko. Aufmerksamkeit. Gesehen werden.«
Sie starrt zum Dom rauf, dann rüber zur Brücke. »Ein Mann ist vor mir weggerannt, da hoch, als die Amerikaner um Hilfe riefen. Kurz darauf hatte ich den Eindruck, dass derselbe Mann oben auf der Brücke steht und mich beobachtet.«
»Du meinst, der Täter wählt einen absolut öffentlichen Tatort und wartet dann ab, bis die Polizei eintrifft? Das
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