Nichts als Erlösung
dem Bereich, der nicht von den Straßenlaternen erfasst wird, bringt seine Nikon auf dem Beifahrersitz in Position und isst die beiden Burger, die er sich beim Drive-in gekauft hat, sorgsam darauf bedacht, das Nappalederinterieur weder mit Fettspritzern noch mit Krümeln zu verunstalten. Sein neues BMW-Coupe ist saphirschwarz, ausgestattet mit einer Reihe hübscher Extras und mit deutlich mehr PS, als er im Stadtverkehr eigentlich braucht. Der Lohn guter Kontakte zum Hersteller, die er während einer Pressereise zum Winterfahrtraining nach Lappland geknüpft und mit einem freundlichen Testbericht gekrönt hat. Trotzdem würde er seine Burger zu dieser vorgerückten Stunde lieber daheim auf dem Sofa mit ein paar Kölsch runterspülen. Aber so ist das eben, wer was erreichen will, muss flexibel sein, und die Chancen, von Judith Krieger ein paar exklusive Details über die Obduktion zu erfahren – lange vor der Konkurrenz –, stehen gut.
Er knüllt die Burger-Verpackung zu einer Kugel und stopft sie in ein leeres Fach seiner Kameratasche. Der Tag war lang. Unchristlich früh hat ihn der Anruf seines Informanten am Morgen aus Morpheus’ Armen gerissen, im ersten Moment war er sogar versucht, ihn einfach zu ignorieren. Dann aber hatte ihn die Erwägung, dass ein Mord mitten im Touristengewühl am Dom durchaus für überregionale Schlagzeilen taugt, doch aus den Federn getrieben, und wie zum Lohn für seine Disziplin war die leitende Ermittlerin am Tatort Hauptkommissarin Judith Krieger persönlich. Sie selbst war natürlich alles andere als froh, ihn zu sehen. Eiskalt hat sie ihn abblitzen lassen, so wie im Frühjahr nach ihrem Coup mit dem Priestermörder. Tagelang hatte er sie damals bekniet, ihm ein größeres Interview zu gewähren. Ohne Erfolg. Ein äußerst zugeknöpftes Foto und ein 08/15-Statement waren alles, wozu sie sich schließlich herabließ, und das auch nur auf Befehl von ganz oben, hat ihm Reiermann neulich bei einem Mittagessen auf Redaktionskosten gesteckt.
Aber jetzt hat sich das Blatt gewendet, und zwar zu seinen Gunsten. Bald, sehr bald wird Judith Krieger ihm gegenüber gesprächiger sein, als sie es sich je hätte träumen lassen. Zobel lehnt sich zurück, ohne das Eingangsportal der Rechtsmedizin aus den Augen zu lassen. Es hat durchaus Vorteile, wenn man unterschätzt wird, das weiß er aus Erfahrung. Die meisten Leute sehen in ihm erst mal einen harmlosen Milchbubi, selbst wenn er ihnen seinen Presseausweis zeigt, halten sie ihn eher für den Redaktionspraktikanten als für den Polizeireporter des KURIER, der für das gesamte Rheinland zuständig ist. Selbst wenn er sie aufklärt, begreifen die wenigsten, dass man eine solche Stelle mit 26 Jahren nicht für jugendliches Aussehen oder Kaffeekochen bekommt. Aber das kann ihm nur recht sein, denn nichts macht die Leute so unvorsichtig wie das Gefühl, ihrem Gesprächspartner haushoch überlegen zu sein. Gerade bei Frauen hat er normalerweise einen Schlag. Die älteren stehen auf seine guten Manieren und gebügelten Hemden, die jüngeren auf seine Storys über Verbrechen. Und all die Studentinnen und Praktikantinnen, die sich 24 Stunden pro Tag dabei verausgaben, jedem noch so großen Arschloch zu gefallen und jede noch so irrelevante Prüfung mit Bestnote abzuschließen, damit sie irgendwann in einer fernen Zukunft, wenn sie endlich genug gelernt haben, Irgendwasmitmedien machen dürfen, liegen ihm sowieso zu Füßen. In ihren Augen ist er schlicht ein Genie, weil er es trotz eines abgebrochenen Studiums erst auf die Journalistenschule und dann direkt zu einer Festanstellung gebracht hat. Klar, der KURIER war nicht immer sein Lebenstraum und ist nicht gerade ein Intellektuellenblatt. Aber er hat Macht, Meinungsmacht, und egal, wie die von der Konkurrenz die Nasen rümpfen, die Fotos und Informationen, die er und seine Kollegen ranschaffen, drucken sie letztendlich doch alle nach, spätestens wenn eine der Nachrichtenagenturen sie aufgekauft hat. Und was ihn persönlich angeht, wird der KURIER nicht die letzte Station sein. Verbrechen und Polizeiarbeit haben ihn schon immer fasziniert. Mit 30 wird er seinen ersten Kriminalroman veröffentlichen, hardboiled und mit jeder Menge real-life-Fakten. Der KURIER wird das in Millionenauflage promoten, er wird eine Kolumne bekommen, wie der große Rufus Feger sie einst hatte. Er wird Meinungsmacher sein, eine moralische Instanz, und wer weiß, vielleicht wird er doch noch beim Spiegel oder der FAZ landen
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