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Nichts als Knochen

Nichts als Knochen

Titel: Nichts als Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felizitas Carmann
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letzte Woche schon angekündigt habe. Es ist Mittwoch, und die Ermittlungen im Obdachlosenfall sind immer noch keinen Schritt vorangekommen. Also werden wir den Fall zu den Akten legen.«
    Rebecca nickte und nahm noch einen Schluck aus der Tasse. Sie ließ die heiße Flüssigkeit durch die Kehle rinnen und versuchte, den Widerspruch, der sich tief in ihrem Inneren regte, mit herunterzuschlucken. Mit geschlossenen Augen blies sie vorsichtig auf die Oberfläche des dampfenden Kaffees. Schließlich sah sie Karsten mit offenem Blick an.
    »Und welchen ungelösten Fall halten Sie stattdessen für Erfolg versprechend?«
    Ihre Frage klang harmlos und unschuldig, doch ihr Blick verhieß offene Rebellion. Er schwieg ein paar Sekunden, um die Kampfansage mit zusammengekniffenen Augen zu erwidern. Mitten in diese kleine Pause hinein zerriss das Schrillen des Telefons die Stille. Rebecca hob den Hörer ab und meldete sich. Nach einigen kurzen Fragen und Bestätigungen kritzelte sie etwas auf einen Zettel und legte wieder auf. Mühsam zwang sie sich, jegliche Mimik niederzuringen, und schließlich gelang es ihr, Karsten mit ausdruckslosem Gesicht anzusehen.
    »Ich ziehe meine letzte Frage zurück. Ich nehme doch an, dass Sie einem neuen Fall den Vorzug geben vor sämtlichen ungelösten Altfällen, oder?«
    Karsten hob fragend die Brauen.
    »Doppelmord in der Luxemburger Straße«, erklärte Rebecca. »Eine Frauen- und eine Männerleiche. Die Nachbarin der Frau hat sie in deren Wohnung gefunden.«
    Karsten sah sie noch einen Augenblick lang an, bevor er sagte: »Dann sollten Sie aufbrechen und mit der Arbeit beginnen.«
    »Wo genau in der Luxemburger soll das denn sein«, fragte Thomas, während er die Lichthupe betätigte und seinen Vordermann fast von der Severinsbrücke in den Rhein scheuchte.
    Rebecca warf ihm einen tadelnden Blick zu.
    »Ein Stück hinter dem Weißhauskino, aber auf der anderen Straßenseite«, entgegnete sie dann, »nicht weit vom Haus Unkelbach.«
    »Kenn ich«, bemerkte Thomas, und Rebecca lächelte süffisant.
    »Nee, is klar! Man muss dir nur eine Kneipe in der Nähe nennen, und schon kennst du den Weg.«
    »Eigentlich kenne ich weniger die Kneipe als vielmehr den Asia Shop kurz dahinter«, widersprach Thomas, »da kauf ich gelegentlich Gewürze für Tandoori-Chicken ein.«
    »Seit wann kochst du?« Rebecca sah ihn überrascht an, aber er schüttelte abwehrend den Kopf.
    »Keine Angst, du weißt doch, dass ich noch nicht mal Wasser kochen kann. Aber Saskia und ich haben ein Abkommen. Sie kocht, und ich besorge die Zutaten, auch wenn ich bei ihren exotischen Kochgelüsten manchmal ganz schön rumkurven muss, bis ich alles beisammen habe. So, da vorne ist es.«
    Erwartungsgemäß war weit und breit kein Parkplatz mehr frei, und so setzte Thomas den Mondeo schräg hinter den Polizeiwagen auf den Bürgersteig. Ein junger Polizist wies ihnen den Weg ins Haus, und kurz darauf betraten sie die Dachgeschosswohnung im dritten Stock. In der ganzen Wohnung wimmelte es schon von Polizisten und Leuten vom Erkennungsdienst. Rebecca und Thomas bewegten sich langsam den langen Flur entlang, wobei sie ständig grüßend nickten. Schließlich erreichten sie das Schlafzimmer am Ende des Ganges, aus dem immer wieder Blitzlichter drangen. Als sie den Raum betraten, konnten sie zunächst nur den breiten Rücken von Dirk sehen, der mit der Kamera im Anschlag vor dem niedrigen Futonbett stand. Wieder blitzte es, und Rebecca schloss unwillkürlich die Augen. Als sie wieder hinsah, war Dirk zur Seite getreten, und sie konnte die Leiche sehen. Sie lag auf dem Bett, und die weit aufgerissenen Augen starrten die Decke an, als läge dort der Schlüssel zu einem großen Geheimnis. Ihre Haut war so weiß wie ihre Bluse und bildete einen starken Kontrast zu der schwarzen Satinbettwäsche. Eine Strähne ihrer roten Haare lag über ihrem geöffneten Mund und rief unwillkürlich das Bedürfnis hervor, sie beiseite zu streifen. Rebeccas Blick glitt über ihre Arme, die angewinkelt neben ihrem Kopf lagen, und verharrte an dem schlanken, weißen Hals, den ein breites, rotes Strangulationsmal bedeckte. Ihre Beine steckten in Bluejeans und waren halb angewinkelt und merkwürdig verdreht. So, als habe sie noch im allerletzten Augenblick versucht, ihren Angreifer abzuwehren.
    Rebecca trat einen Schritt vor und versuchte dabei den Atem anzuhalten. Eine kleine Wolke von Tod und Blut, die schon die ganze Zeit in der Luft gehangen hatte, erreichte

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