Nichts als Knochen
Schritt vor und sah links hinter der Tür in die Küche. An einem kleinen Tisch saß eine junge Frau mit kurzen, dunklen Haaren und starrte auf das geblümte Tischtuch. Vor ihr hockte eine Polizeibeamtin und redete leise auf sie ein. Als die Polizistin Rebecca und Thomas bemerkte, stand sie auf und kam zur Tür.
»Huthmacher, KK 11«, stellte Rebecca sich vor, »das ist Herr Stockhausen, mein Mitarbeiter. Ist das Frau Berger?«
Die Beamtin warf einen Blick zurück zu der Frau und nickte.
»Ja, sie hat die Leichen gefunden. Ist noch ziemlich durcheinander. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie im Moment was Vernünftiges aus ihr herausbekommen. Hier hab ich jedenfalls ihre Personalien aufgeschrieben.«
Sie gab Rebecca einen Zettel und schob sich an Thomas vorbei zur Tür heraus. Langsam ging Rebecca auf den Tisch zu und setzte sich auf den Stuhl gegenüber der Frau, die immer noch unverwandt auf den Tisch starrte.
»Frau Berger?«, begann sie dann.
Die Frau sah kurz auf und dann wieder auf den Tisch.
»Ich muss hier ausziehen!«, flüsterte sie beschwörend. »Ich kann hier nicht bleiben!«
»Frau Berger, beruhigen Sie sich bitte erst mal. Sie haben die Leichen von Ihrer Nachbarin und diesem Mann gefunden, aber das heißt noch nicht, dass Sie in Gefahr sind. Oder haben Sie Grund zu der Annahme, dass der Mörder es auch auf Sie abgesehen haben könnte?«
Nicole Berger sah Rebecca an und schüttelte den Kopf.
»Also gut«, sagte Rebecca, »am besten, Sie erzählen mir erst mal, was passiert ist.«
»Ich bin früh aufgestanden heute, weil ich eigentlich gerade 'ne wichtige Vorlesung habe.«
Ihre tiefe Stimme klang sonor und stand im Widerspruch zu ihrer zusammengesunkenen Gestalt.
»Mein Müsli war alle, und ich wollte Andrea fragen, ob sie noch was hat. Ich hab geklingelt, aber es hat keiner geöffnet. Ich dachte, sie ist vielleicht schon zur Arbeit, und hab ihren Wohnungsschlüssel geholt, um nach dem Müsli zu schauen.«
»Sie haben einen Schlüssel zur Wohnung?«, fragte Rebecca.
Frau Berger nickte.
»Und Sie sind einfach in die Wohnung gegangen, um sich Müsli zu holen, obwohl Sie glaubten, dass Ihre Nachbarin nicht da war?«
Die junge Frau sah Rebecca leicht verstört an.
»Klar, warum nicht? Wir sind seit über fünf Jahren Nachbarn und inzwischen ganz gut befreundet. Es kommt häufiger vor, dass die eine zur anderen in die Wohnung geht, um irgendwas zu holen. Es ist schon fast so 'ne Art Ressourcenpool.«
Sie stockte einen Moment, und ihr Blick verdüsterte sich.
»Oder besser gesagt: war.«
Rebecca sah sie aufmunternd an und sagte: »Bitte erzählen Sie weiter. Sie sind also in die Wohnung gegangen, um Müsli zu holen. Was geschah dann?«
»Kaum hatte ich die Tür geöffnet, schoss mir Moritz, ihr Kater, zwischen den Beinen hindurch. Als ich ihn zurück in die Wohnung locken wollte, hat er herzzerreißend miaut. In der Küche hab ich dann gesehen, dass der Napf mit dem Trockenfutter bis auf den letzten Krümel leergefegt war. Während ich mich noch fragte, was los sein könnte, weil Moritz' Napf normalerweise immer gut gefüllt ist, stieg mir dieser merkwürdige Geruch in die Nase.«
Sie holte tief Luft, und ihre Lippen bebten.
»Und dann?«, fragte Rebecca leise.
»Ich bin aus der Küche raus und den Flur entlang«, flüsterte Frau Berger. »Der Geruch wurde stärker, und obwohl ich so was noch nie gerochen habe, wusste ich irgendwie, was mich am Ende des Flurs erwarten würde. Ich stieß die halb geschlossene Schlafzimmertür auf, und da sah ich sie liegen.«
Sie hielt inne und kämpfte sichtlich mit den Tränen.
»Sie sah so zart und verletzlich aus und irgendwie auch unwirklich. Wächsern … wie bei Madame Tussaud's.«
»Haben Sie irgendetwas angefasst?«, wollte Rebecca wissen.
»Nein, ich bin einen Schritt auf sie zu gegangen, weil ich wissen wollte, ob sie vielleicht noch lebte. Da sah ich die andere Leiche auf dem Fußboden liegen. Danach bin ich weggerannt. Ich hab dann sofort die Polizei angerufen und meine Wohnungstür nicht wieder geöffnet, bis ich durch den Spion uniformierte Beamte gesehen habe.«
»Frau Berger, wann haben Sie Ihre Nachbarin zum letzten Mal lebend gesehen?«
Thomas, der bisher schweigend am Rahmen der Küchentür gelehnt hatte, trat einen Schritt vor und blieb neben dem Kühlschrank stehen, als er den alarmierten Blick der jungen Frau sah.
»Ich weiß nicht genau«, sagte diese mit einem lauernden Seitenblick auf Thomas, »Sonntag, glaub ich. Ja,
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