Nichts bleibt verborgen
Handkuss. Gustavsen wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Ohlsen ergriff ihre schmale Hand, die von einer Vielzahl kleiner Knoten und Schwellungen bedeckt war, und hielt sie für einen Moment fest. »Frau Granberg … Sie sind doch Frau Granberg, die Mutter von Magnus?«
»Ja, das bin ich.« Erst jetzt belebten sich ihre Gesichtszüge. Sie mochte etwa Anfang fünfzig sein und war so schmal, dass sie fast klapprig wirkte. Das grelle Make-up auf der lederartigen Haut verlieh ihr etwas Puppenhaftes.
»Ist etwas mit meinem Sohn?«, fragte sie mit unsicherer Stimme.
»Nun, wir würden Ihnen und Ihrem Sohn gern ein paar Fragen stellen. Es geht um den Brand auf dem Sportgelände seiner Schule, von dem Sie ja bestimmt schon gehört haben.«
Ihre Pupillen huschten unruhig hin und her. »Nein, ich …« Für einen Augenblick schien es ihr die Sprache verschlagen zu haben. »Mein Mann und ich sind erst gestern aus Spanien zurückgekommen, müssen Sie wissen. Aber kommen Sie doch herein.«
»Ist Ihr Mann zu Hause?«, fragte Ohlsen, als sie die große Eingangshalle betraten, in der es nach Rosen duftete, als befände man sich in einem blühenden Garten.
»Nein, der ist in der Firma.«
»Und Ihr Sohn?«
»Tja, der müsste eigentlich aus der Schule wieder da sein. Ich habe ihn noch gar nicht gesehen. Einen Moment bitte.« Sie ging mit raschen Schritten in Richtung eines Flures, der von der Eingangshalle abzweigte. »Elin?«, rief sie mit durchdringender Stimme.
Im nächsten Moment erschien eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die der Jahreszeit zum Trotz ein luftiges gelbes Sommerkleid und Riemensandalen mit hohen Absätzen trug. Der Nagellack an Fingern und Zehen entsprach haargenau der Farbe ihres Kleides.
Die beiden Polizisten sahen sich fragend an.
»Elin, hast du Magnus irgendwo gesehen?«
»Ich glaube, der ist auf seinem Zimmer.«
»Dann führe die Herren doch bitte in den französischen Salon, ich bin gleich wieder da.« Ohne sich noch einmal nach ihren Gästen umzudrehen, entschwand die Hausherrin in die unendlichen Weiten ihrer noblen Behausung, während sich Elin an die Besucher wandte. »Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
Ohlsen fiel sofort der helle Singsang ihrer Stimme sowie das hintergründige Lächeln auf, das Elins Lippen umspielte, als hielte sie unablässig ein Lachen zurück.
Nachdem sie eine weitere Halle sowie einen langen Korridor durchquert hatten, wurden sie in einen Wohnraum geleitet, der vollgestopft mit historisch anmutenden Möbeln war. Geschwungene Sessel mit roten Polstern und verschnörkelten Lehnen. Grüne Seidentapeten mit altmodischen Mustern. Schwere Samtvorhänge, die von goldenen Kordeln zusam mengehalten wurden.
»Wünschen die Herren Tee oder Kaffee?«, fragte Elin. »Oder lieber eine französische Limonade?« Bei dem Wort Limonade kniff sie ein wenig die Lippen zusammen, als müsse sie sich erneut beherrschen, nicht lauthals loszuprusten.
»Nein, danke, machen Sie sich keine Umstände«, entgegnete Ohlsen.
»Was für eine attraktive junge Dame«, bemerkte Gustavsen, nachdem Elin das Zimmer verlassen hatte.
»Nun, ich bin sicher, dass Rita ihr in nichts nachsteht«, entgegnete Ohlsen und öffnete den Reißverschluss seiner schwarzen Lederjacke. Auch ihm war inzwischen warm geworden.
Gustavsen überhörte diese Bemerkung und legte Hut und Mantel auf ein gestepptes Liegesofa, dessen französische Bezeichnung ihm entfallen war. Erst jetzt sah Ohlsen, dass sein Kollege sich heute für ein rosafarbenes Hemd und einen taubenblauen Pullunder entschieden hatte. Eine geschmackvolle, wenn auch gewagte Kombination.
»Ich frage mich, was so ein bildhübsches Mädchen dazu bringt, in diesem Museum zu arbeiten.« Gustav sen strich versonnen über den hölzernen Rahmen des historischen Möbelstücks. »Sofern es sich nicht um die Tochter des Hauses handelt, was ich für sehr unwahrscheinlich halte.«
»Vermutlich die Bezahlung«, tippte Ohlsen.
Gustavsen richtete seinen Zeigefinger auf ihn. Eine sprechende Geste, die in etwa Du sagst es bedeutete. »Chaiselongue!«, rief er plötzlich.
»Bitte?«
»Mir ist gerade eingefallen, wie diese Liegesofas heißen.«
»Schön für dich.«
»Aber was ist dann eine Ottomane?« Gustavsen legte einen Finger an die Nase und schien angestrengt nachzudenken, als sich beinahe lautlos die Tür öffnete. Die schmächtige Frau Granberg trat ein, ihr stämmiger Sohn schlurfte hinter ihr her.
»Du bist also Magnus«, sagte Ohlsen sofort,
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