Nichts für Anfänger - Roman
besetzten Haus, sagt sie. Er glaubt nicht daran, dass man ein eigenes Haus und haufenweise Geld braucht. Alles, was er hat, steckt er in Kunstzubehör und Ohrringe. Er will auf jeden Fall was von Saidhbh. Er hat sogar schon Tante Grace getroffen, nur einmal, aber schon nach dem einen Treffen draußen auf der Straße neben seinem Fahrrad hat sie befunden, dass er »der Richtige« ist. Als er weg ist, kommt Tante Grace in Saidhbhs Zimmer gestürmt – sie teilt es sich jetzt, wo sie sich nicht mehr umbringen will, wieder mit Fiona – und sagt ihr, direkt vor Fiona, dass Toby trotz des Skinheadhaarschnitts der absolute Sechser im Lotto ist und dass sie ihn sich warmhalten sollte, koste es, was es wolle.
Fiona erzählt mir die ganze Geschichte noch am selben Abend, und ich habe das starke Bedürfnis, mir eine Kugel in den Kopf zu jagen. Ich finde es nicht fair, dass ein Mensch so was tun kann. Dass eine Tante plötzlich zu einem Skinheadkünstler auf einem Fahrrad hält statt zu ihrem eigenen Neffen, obwohl sie gesehen hat, was ich alles gemacht habe, und was für Pläne ich für Saidhbh hatte, als sie noch weg war. Und wie ich das Heilen geübt habe. All die Trainingseinheiten. Und ich finde es auch nicht fair, dass Saidhbh einfach durchs Tor einer Irrenanstalt rausspazieren und ihr gesamtes altes Selbst wie eine alte Bomberjacke zurücklassen kann, von der es einem egal ist, wenn man sie auf einem Silvester-Hoolie verliert. Oder dass sie plötzlich so tut, als wäre sie total reif und erwachsen, und mich so behandelt, als wären wir plötzlich wieder einfach beste Idiotenfreunde oder als wäre ich wieder einfach nur dieser kleine Kerl, der auf den Partys seiner Schwestern im Spiderman-Schlafanzug rumrennt. Als wäre das Ganze ein blöder zerplatzter Traum, alles, von vorne bis hinten. Welt ohne Ende.
Es ist zum Verrücktwerden. Wirklich. Oder zumindest ist das jetzt der Moment, in dem man sich den Schädel an so einem klobigen Baumstumpf einschlagen könnte. Leider habe ich gerade keinen Baumstumpf zur Hand und nehme stattdessen mein Kopfkissen. Ich habe einen guten alten Wutanfall, allein in meinem Zimmer unter dem Rubber-Soul -Poster, und wimmere durch meine Tränen hindurch und schreie ins Bettlaken, und zwischendurch denke ich noch, dass es sich für Heathcliff im englischen Niemandsland vermutlich genau so angefühlt hat und er sich so dachte: Oh Mann ey, Frauen sind total irre und bringen mich um den Verstand!
Als Fiona ins Zimmer kommt, wird alles nur noch schlimmer. Von dem Wutanfall bin ich irgendwie ziemlich verschwitzt, aber sie sieht mich trotzdem so liebevoll an, dass ich mir so jung vorkomme und so klein, dass ich nicht weiß, ob ich aufspringen und mich ihr in die Arme werfen soll, damit sie mich für den Rest meines Lebens himmlisch umarmt, oder ob ich brüllen soll, sie soll sich verpissen und dass ich kein verdammtes Baby mehr bin. Ich tue gar nichts und vergrabe stattdessen meinen Kopf endgültig im Kissen. Aber Fiona ist einfach die Beste und streichelt mir nur über den Hinterkopf und sagt mir, dass ich versuchen soll, mich für Saidhbh zu freuen, weil sie so viel durchgemacht hat, und dass wir und alle anderen schon seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt haben, dass es ihr so gut geht wie jetzt.
Ich wimmere noch ein bisschen, und Fiona streichelt noch ein bisschen, und in die Stille hinein sagt sie mir, dass ich mir wegen Toby keine Sorgen machen muss, und obwohl er dreimal so alt ist wie ich und einen tollen Job in Chelsea hat, ist er nicht einmal halbwegs so ein Mann wie ich. Damit bekommt sie mich dazu, mich langsam wieder ins Leben zurückzuschniefen wie ein verheultes Kleinkind, dem gerade klar wird, dass es doch noch einen Nachschlag vom Eis bekommt.
Ich sehe Fiona direkt in die Augen.
Und was ist mit dem Heilen?, sage ich in völliger Verzweiflung, weil ich helfen will und mich beweisen.
Zeig’s ihr!, sagt Fiona wie aus der Pistole geschossen. Und ihm! Soll heißen: Toby.
Dann hält sie mich fest bei den Händen und sagt mir, kein Flachs jetzt, dass ich mich frisch machen und runter zu Saidhbh gehen und ihr unmissverständlich klarmachen soll, was die hier, also meine Hände, alles draufhaben!
Als ich mit dem Heilen anfange, kichert Saidhbh ein bisschen und guckt mit Schlitzaugen andauernd heimlich dabei zu, wie ich versuche, den Rand ihres Feldes zu finden. So ist es fast unmöglich, sich zu konzentrieren, und am Ende werde ich etwas sauer und überspringe diesen Teil und auch den
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