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Nichts, was man fürchten müsste

Nichts, was man fürchten müsste

Titel: Nichts, was man fürchten müsste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes , Pößneck GGP Media GmbH
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ich weiß, das klingt eher nach einem religiösen als nach einem sich gläubig nennenden Menschen. T. wird demnächst R. heiraten, und die schafft es vielleicht, das Kruzifix zu entfernen, vielleicht auch nicht. Da ich Geburtstag habe, nehme ich mir bei meinen Fragen größere Freiheiten heraus und erkundige mich, warum T. – von seiner katholischen Erziehung einmal abgesehen – an seinen Gott und seine Religion glaubt. Er überlegt eine Weile und sagt dann: »Ich glaube, weil ich glauben will.« Vielleicht höre ich mich ein bisschen wie mein Bruder an, als ich entgegne: »Wenn du zu mir sagtest: ›Ich liebe R., weil ich R. lieben will‹, würde mich das wohl ziemlich kalt lassen und sie auch.« Da ich Geburtstag habe, sieht T. davon ab, mir seinen Drink ins Gesicht zu schütten.
    Bei der Rückkehr finde ich ein kleines Päckchen an meiner Haustür. Zuerst bin ich etwas verärgert, da ich mir Geschenke ausdrücklich verbeten habe, und diese spezielle, für ihre Schenkfreudigkeit bekannte Freundin wurde mehrfach darauf hingewiesen. In dem Päckchen liegt ein batteriebetriebener Anstecker, dessen blaue und rote Punkte » 6 0 TODAY « blinken. Was es nicht nur akzeptabel, sondern zum perfekten Geschenk macht und meine Verärgerung augenblicklich in gute Laune verwandelt, ist der Aufdruck des Herstellers auf der Rückseite: » WARNUNG : Kann die Funktion von Herzschrittmachern beeinträchtigen.«
    Zu den (möglicherweise) »lohnenden kurzfristigen Sorgen« nicht lange nach meinem Geburtstag gehört eine Lesereise durch die USA . Bei der Ankunft in New York – beim Transfer vom Flughafen in die Stadt – kommt man an einem der ausgedehntesten Friedhöfe vorbei, die ich je gesehen habe. Ich freue mich immer ein bisschen über dieses rituelle Memento mori, vielleicht weil ich New York nie recht gemocht habe. Darauf läuft also das ganze Treiben in dieser umtriebigsten und narzisstischsten aller Städte hinaus; die geballte Vertikalität dieser Grabsteine macht sich über Manhattan lustig. Früher habe ich lediglich auf die Größe solcher Friedhöfe und die Arithmetik der Sterblichkeit geachtet (eine Aufgabe für den Buchhalter-Gott, an den Edmond de Goncourt nicht glauben konnte). Jetzt fällt mir zum ersten Mal etwas anderes auf: dass da niemand ist. Diese Friedhöfe sind wie eine moderne Landschaft: hektarweise Leere in jede Himmelsrichtung. Zwar würde man hier kaum einen sensenschwingenden Landmann, einen Heckengärtner oder Trockenmauerbauer erwarten, doch das völlige Fehlen jeder menschlichen Aktivität, das die industrielle Landwirtschaft auf den ehemaligen Wiesen, Weiden und heckenumgrenzten Feldern mit sich gebracht hat, ist nur eine andere Art von Tod: als hätten die Pestizide auch allen Landarbeitern den Garaus gemacht. Und so rührt sich auch auf diesem Friedhof in Queens keine Menschenseele. Das hat natürlich seinen guten Grund: Die früher so umtriebigen Toten bekommen keinen Besuch, weil sie durch neue Umtriebige ersetzt wurden, die viel zu sehr mit ihren Umtrieben beschäftigt sind. Doch wenn es etwas noch Trübsinnigeres gibt als einen Friedhof, dann ist es ein Friedhof ohne Besucher.
    Ein paar Tage später sitze ich im Zug nach Washington und komme südlich von Trenton wieder an einem Friedhof vorbei. Auf diesem regt sich zwar ebenso wenig Leben, aber er wirkt trotzdem nicht ganz so gespenstisch: Er zieht sich gesellig neben den Gleisen hin und strahlt nicht diese scheckige Endgültigkeit, dieses Tot-und-Begraben-Sein aus. Hier sind die Toten anscheinend nicht so tot, dass sie vergessen sind, nicht so tot, dass sie sich nicht über neue Nachbarn freuen würden. Und dort, am südlichen Ende dieses so wenig bedrohlichen Streifens Land, bietet sich ein heiteres amerikanisches Bild: ein Schild, das BRISTOL CEMETERY – LOTS AVAILABLE verkündet. Das klingt, als wäre der Doppelsinn von LOTS beabsichtigt: Hier sind nicht nur Grabstellen frei, sondern jede Menge davon. Kommt zu uns, wir haben viel mehr zu bieten als die Konkurrenz.
    Grabstellen frei. Werbung muss sein, auch im Tod – das ist der American way. Während in Westeuropa die alte Religion ihrem Ende entgegensiecht, ist Amerika nach wie vor ein christliches Land, und es leuchtet auch ein, dass der Glaube dort noch floriert. Das Christentum, das dem alten jüdischen Dogmenstreit über die Frage, ob es ein Leben nach dem Tode gibt, ein Ende gemacht hat und ganz auf die persönliche Unsterblichkeit als theologisches Verkaufsargument

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