Nichts, was man fürchten müsste
setzt, ist wie geschaffen für diese Gesellschaft, die »Nichts ist unmöglich« und »Leistung muss sich lohnen« zu ihrem Credo erhoben hat. Und da in Amerika alles zum Extrem getrieben wird, hat man dort jetzt das extreme Christentum eingeführt. Das alte Europa ging die Sache mit dem Himmelreich gemächlicher an – erst mal langes Vermodern im Grab, später dann Auferstehung und Jüngstes Gericht, wann immer es Gott gefällt. Amerika und das extreme Christentum machen gern mehr Tempo. Warum kann die Lieferung nicht etwas schneller nach der angekündigten Bestellung erfolgen? So kommt es zu Fantasievorstellungen wie der ekstatischen Verzückung, bei der die Gerechten unverzüglich in den Himmel kommen, während sie weiter ihren täglichen Geschäften nachgehen; dann können sie von oben zuschauen, wie Jesus und der Antichrist da unten auf dem Schlachtfeld des Planeten Erde ihren Streit ausfechten. Das Ende der Welt als Katastrophenfilm in der nicht jugendfreien Action-Man-Version.
Auferstehung gleich nach dem Tod: das Nonplusultra einer »Tragödie mit Happy End«. Als Urheber dieses Ausdrucks gilt gemeinhin einer jener Hollywood-Regisseure, die angeblich der Quell aller geistreichen Bemerkungen sind; ich habe ihn allerdings zuerst in Edith Whartons Autobiografie A Backward Glance entdeckt. Sie schreibt ihn dort ihrem Freund, dem Schriftsteller William Dean Howells, zu, der ihr damit Trost spenden wollte, als das Premierenpublikum eine Bühnenversion von Das Haus der Freude nicht zu würdigen wusste. Damit würde der Ausdruck aus dem Jahre 1906 stammen, als all diese Filmregisseure noch gar nicht mit ihren Witzeleien angefangen hatten.
Edith Whartons schriftstellerische Erfolge sind umso erstaunlicher – und bewundernswerter –, als sich ihre Weltsicht so wenig mit dem amerikanischen Optimismus in Einklang bringen ließ. Sie sah wenig Anzeichen für Erlösung. Für sie war das Leben eine Tragödie – oder bestenfalls eine bittere Komödie – mit tragischem Ende. Manchmal auch einfach ein Drama mit einem dramatischen Ende. (Ihr Freund Henry James definierte das Leben als »eine Unannehmlichkeit vor dem Tod«. Und dessen Freund Turgenew meinte, der interessanteste Teil des Lebens sei der Tod.)
Edith Wharton ließ sich auch nicht von der Idee verleiten, das Leben, sei es nun tragisch, komisch oder dramatisch, müsse zwangsläufig originell sein. Wenn wir uns über unser – in unseren Augen – so unendlich faszinierendes Leben beugen, gerät unser Mangel an Originalität praktischerweise in Vergessenheit. Mein Freund M., der seine Frau verlassen und sich eine Jüngere gesucht hatte, beklagte sich oft: »Alle sagen, das sei ein Klischee. Für mich fühlt es sich aber nicht wie ein Klischee an.« Ja, es war und ist ein Klischee. Unser aller Leben wäre der Beweis, sofern wir es aus größerer Distanz sehen könnten – etwa vom Standpunkt dieses höheren Wesens aus, das Einstein sich vorgestellt hatte.
Eine befreundete Biografin schlug mir einmal vor, sie könne ein wenig über den Tag hinausdenken und mein Leben aufschreiben. Ihr Mann wandte spöttisch ein, da habe sie nicht viel zu tun, denn bei mir sehe jeder Tag gleich aus. »Aufgestanden«, lautete seine Version, »Buch geschrieben. Rausgegangen und Flasche Wein gekauft. Nach Hause gekommen, Essen gekocht. Den Wein getrunken.« Diese Kurzfassung konnte ich sofort bestätigen. Sie ist so gut wie jede andere, so wahr oder unwahr wie jede längere Version. Faulkner hat gesagt, der Nachruf auf einen Schriftsteller sollte so lauten: »Er hat Bücher geschrieben, dann ist er gestorben.«
Kunst über den Tod zu erschaffen ist, wie Schostakowitsch wusste, etwa so, als würde man sich die Nase am Ärmel abwischen. Als der Bildhauer Ilja Slonim eine Büste von ihm anfertigte, missfiel das Ergebnis dem Vorsitzenden des sowjetischen Komitees für Angelegenheiten der Kunst. »Wir brauchen«, ließ der Apparatschik den Bildhauer (und damit indirekt auch den Komponisten) wissen, »einen optimistischen Schostakowitsch.« Dieses Oxymoron erzählte der Komponist mit Vergnügen weiter.
Er war nicht nur ein großer Grübler über den Tod, sondern auch – zwangsläufig im stillen Kämmerlein – ein Spötter über falsche Hoffnungen, Staatspropaganda und künstlerischen Schund. Eine beliebte Zielscheibe seines Spotts war ein in den 1930 er-Jahren erfolgreiches Stück des längst vergessenen regimetreuen Wsewolod Wischnewski, über den ein russischer
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