Nick aus der Flasche
ihnen lebte.
Ach, was machte sie sich jetzt schon Gedanken über die Zukunft? Bis dahin verging noch viel Zeit.
Als Dad mit der Gabel plötzlich an sein Glas klopfte, kehrte Julie wieder ins Hier und Jetzt zurück.
»Ich möchte etwas verkünden«, sagte er und grinste Mom an. »Ich weiß, dass ich euch in den letzten Monaten sehr vernachlässigt habe. Der Sterling-Fall hat mich ziemlich auf Trab gehalten, aber jetzt habe ich ihn erfolgreich abgeschlossen. Daher möchte ich dich …« Intensiv schaute er auf Mom. »… eine Woche lang in die Rocky Mountains entführen, nur wir beide ganz allein ohne die Kinder. Dort hab ich eine Hütte gemietet, und wir können wandern und …« Er räusperte sich.
»Thomas!« Lächelnd umarmte Mom ihn. »Ich freu mich so.« Sie schloss die Augen und verdrückte sich ein Tränchen.
Julie freute sich auch für die beide n. Nach all den Jahren hatten sie sich immer noch sehr lieb. Würde sie solch ein Glück selbst einmal finden? Ihre Mutter war erst beim zweiten Anlauf auf ihren Traumpartner gestoßen.
Nachdem sich Mom gelöst hatte, schaute Dad auf Julie. »Das ist aber noch nicht alles. In den Sommerferien werden wir alle gemeinsam nach Hawaii fliegen.«
»Hawaii!« Davon hatte sie schon immer geträumt. »Danke, Dad!« Sie stand auf und umarmte ihn ebenfalls.
Über die Schulter ihres Vaters blickte sie auf Nick, der mit der Gabel in seinen Pommes herumstocherte. Was würde aus ihm werden, wenn sie in den Urlaub flogen? Sie musste ihn mitnehmen, und zwar
in
der Flasche. Doch er hasste es, darin eingesperrt zu sein.
Julie malte sich eine Szene aus, wie am Flughafen ihr Handgepäck gescannt wurde und Mini-Nick auf dem Monitor sichtbar wurde.
Ob er allein zu Hause bleiben konnte?
Mann, warum war es so kompliziert, einen Dschinn zu besitzen? Das war ja stressiger als mit einem Haustier. Um Lanzelot kümmerte sich Mrs. Finn, Moms Putzfrau. Zum Glück war es noch eine Weile hin, vielleicht würde ihr bis dahin eine Lösung einfallen.
»Weiß Connor es schon?«, wollte Mom wissen, als Julie sich wieder gesetzt hatte.
»Noch nicht, ich rufe ihn später an«, sagte Dad und fragte in die Runde: »Was gibt es sonst Neues?«
Moms Gesichtsausdruck wurde ernst. »Ich habe vorhin Mrs. Meyer getroffen. Sie hat erzählt, Mrs. Warren wäre gestern ins Krankenhaus gekommen.«
Nick ließ die Gabel fallen. »Was ist passiert?«
Julies Atem stockte.
»Kennst du sie?«, fragte Mom erstaunt.
Er schaute sie aus großen Augen an. »Ja, ich war dabei, als Julie sie am Samstag besucht hat.«
»Was hat Mrs. Warren denn, Mom?« Julie hoffte, es war nichts Schlimmes.
»Ich weiß nichts Genaueres.«
Ob sie sich über ihren Besuch aufgeregt hatte? Hoffentlich waren sie nicht schuld an ihrem Zustand.
Nick sah Julie flehend an, und sie verstand. »Kann ich sie besuchen?«
Mom hob die Brauen. »Jetzt noch?«
»Ja, bitte.«
Nick rutschte mit dem Stuhl zurück. »Ich würde dich hinfahren.«
Mom warf einen kurzen Blick auf Dad, doch der zuckte nur mit den Schultern.
»Na schön.« Als ihre Mutter sich erhob, sprangen Julie und Nick auf.
»Wartet«, sagte Mom und ging zum Herd. »Nehmt ihr ein paar von meinen Cookies mit und bestellt ihr schöne Grüße und gute Besserung.«
***
Wohin Nick sah, erblickte er Geister. Das Krankenhaus war voll davon. Sie strahlten etwas Unheimliches aus, das ihm ein Frösteln einbrachte. Keiner sonst schien die zahlreichen Toten zu bemerken, niemand beachtete sie. Als ob sie spürten, dass er sie erkannte, starrten sie ihn an, ließen ihn jedoch in Ruhe.
Nachdem sie an der Anmeldung gefragt hatten, auf welchem Zimmer Emma lag und ob sie sie besuchen dürften, eilten sie durch die langen kahlen Korridore. Julie lief neben ihm, die Tüte mit den Keksen sowie eine kleine Sonnenblume an ihre Brust gedrückt, und schaute auf die Zimmernummern. »Wir müssen bis zum Ende des Ganges.«
»Hm.« Nick machte einen Schritt zur Seite und zog Julie mit sich, um nicht in eine armlose Frau hineinzulaufen, die blutüberströmt durch den Flur strich. Niemals würde er das eiskalte Schauergefühl vergessen, als er durch Solomon gesprungen war.
»Was hast du denn?« Sie warf ihm einen verwunderten Blick zu.
Vielleicht war es an der Zeit, ihr die Wahrheit zu sagen. »Ich kann Tote sehen.«
»Was?« Beinahe lief sie gegen einen leeren Rollstuhl, der neben einer Tür abgestellt worden war.
»Geister. Sie sind überall.« Tief atmete er durch und verzog die Nase, weil es nach
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