Nick aus der Flasche
Allein deshalb durfte sie ihn nie wieder zurück in die Flasche befehlen.
Julie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Wir haben noch ein wenig Zeit, bevor es Essen gibt. Setz dich.« Sie ließ sich auf ihr Bett nieder und klopfte neben sich auf die Matratze.
Seufzend schaute er an sich herunter. »Meine Hose ist schmutzig.«
»Hast du in deiner Flasche was zum Wechseln?«
Nick hob eine Braue. »Leider nein, und da gibt es auch keine kleine gemütliche rosa Couch wie in Jeannies Flasche.«
Ihr Gesicht hellte sich auf. »Du kennst die Serie
Bezaubernde Jeannie
?«
Er stutzte und erwiderte verwundert: »Ja.« Doch woher? Es war ihm einfach in den Sinn gekommen.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf, wobei ihr Haar um ihren Nacken schwang. »Du bist ein seltsamer Flaschengeist.«
»Möglich«, sagte er schulterzuckend. »Ich hab leider keine Vergleichsmöglichkeit.«
»Außer Jeannie.« Julie grinste so frech, dass sein Herzschlag für eine Sekunde aus dem Takt geriet. An wen erinnerte sie ihn nur?
»Außer Jeannie«, wiederholte er, »aber die war ja nicht echt.«
Julie deutete auf ihren Drehstuhl und bat Nick darauf Platz zu nehmen. Zögerlich setzte er sich. Solomon war nie so höflich gewesen.
»Was würdest du dir wünschen, wenn du an meiner Stelle wärst?« Erwartungsvoll schaute sie ihn an.
Diese Frage hatte ihm noch nie jemand gestellt, doch die Antwort fiel ihm nicht schwer. »Wieder ein richtiger Mensch zu sein.«
»Dann wünsche ich mir das für dich«, sagte sie hastig.
»Damit du mich los hast?« Er lächelte unsicher und kratzte sich am Kopf. »Das geht leider nicht, und es gibt ein paar weitere Ausnahmen, was das Wünschen betrifft.«
»Lass mich raten.« Belehrend hob sie den Zeigefinger. »Du kannst niemanden töten oder von den Toten auferstehen lassen, niemanden dazu bringen, sich in mich zu verlieben, und das Wünschen weiterer Wünsche ist nicht wünschenswert.«
Für einen Moment verschlug es ihm die Sprache. Kannte sie sich doch mit Flaschengeistern aus? »Woher weißt du das?«
»Ich habe Aladdin gesehen.«
»Wen?« Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
Julie lachte. »Vergiss es.«
»Nein, das will ich jetzt wissen!«
»Es ist ein Zitat aus einem Film.«
»Ich liebe Filme!« Er war gern ins Kino gegangen.
»Ein Flaschengeist, der Filme mag und Barbara Eden kennt. Ich glaube, ich behalte dich, dann können wir uns durch meine ganze DVD-Sammlung gucken.« Sie schaute zu der dunklen Scheibe an der gegenüberliegenden Wand.
Hatte er doch gewusst, wozu die gut war!
»Was wäre dein zweitgrößter Wunsch?«, wollte sie wissen.
»Hmm.« Er tippte sich ans Kinn und bemerkte, wie lang seine Barthaare waren. Das Gestrüpp musste furchtbar aussehen! Er schämte sich vor Julie.
Intensiv starrte sie ihn an und wartete auf eine Antwort.
»Wieder in die Schule gehen zu dürfen, am Leben teilzunehmen«, sagte er hastig. Ihre Blicke gingen ihm durch und durch.
»Ist nicht dein Ernst! Ich kann es kaum erwarten, dass das Jahr endlich zu Ende ist.«
»Ich würde sofort mit dir tauschen.«
»Du meinst das wirklich.« Sie klang tatsächlich erstaunt.
Was war denn so schlimm daran, lernen zu wollen? »Wissen ist Macht«, erwiderte Nick grinsend. Er interessierte sich für Naturwissenschaften und Mathematik. Wenn er sich in Julies Zimmer umsah, erkannte er, wie sich die Dinge verändert hatten. Technische Errungenschaften, wie dieses flache Telefon, konnten jetzt so viel mehr als zu seiner Zeit. Dunkel erinnerte er sich an große Telefonapparate mit Wählscheibe, Fernseher mit dicken Röhren oder klobige Radios, und heute war das alles in einem Gerät vereint!
Julie erhob sich und holte ein Buch aus ihrem Rucksack, das sie in der Mitte aufschlug. »Überleg dir das gut.« Nun grinste sie, als sie ihm die Seite unter die Nase hielt. Mathematische Formeln befanden sich darauf und ließen Nicks Herz schneller schlagen. Die kamen ihm nicht alle bekannt vor! Zu gerne wollte er wissen, wozu sie gut waren.
»Meine Güte!« Lachend schlug sie das Buch zu und stopfte es zurück in die Tasche. »Du bist ja total wild darauf. Mein Flaschengeist ist ein Streber!«
»Meister Solomon hat mir verboten zu lesen. Ich durfte nur seine Aufträge erledigen und dann hat er mich wieder in die Flasche gesperrt.« Sein Magen zog sich zusammen und er setzte leise hinzu: »Ich möchte endlich wieder leben, auch wenn ich kein Mensch mehr bin.«
Das freche Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Nick
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