Nick Perfect – Bruder per Post
irgendwelchen Mädchen, als sei er im Playboy-Modus oder so.
Aber dann wurde ich stutzig. Er redete nicht mit irgendeinem Mädchen, sondern mit Robin. Robin hatte noch nie mit jemandem gesprochen. Ich meine, sie konnte es, aber sie tat es niemals, außer vielleicht mit ihren Eltern, und auch das nur selten. Robin war winzig klein und dünn. Wahrscheinlich acht. Sie kam schon in das Zentrum, seit ich mich erinnern kann, und ich habe noch nie gesehen, dass sie mit anderen Kindern geredet oder sich dafür interessiert hätte, was die anderen machen. Stattdessen saß sie immer für sich allein und spielte mit Stofftieren oder malte ein Heft aus. Irgendwie war das traurig.
Aber an jenem Tag redete Robin mit Nick. Und ich war nicht der Einzige, der das bemerkte.
» Unglaublich«, sagte ein größerer Junge namens Tyler. » Hätte nie gedacht, dass diese Verrückte mal den Mund aufkriegt. Wer ist denn dieser Zwerg, mit dem sie redet?«
» Mein adoptierter Bruder«, sagte ich. » Und er ist kein Zwerg; er ist fast 1,55 m groß.«
(Okay, ich hab Nick mal gemessen, als er im Schlafmodus war. Ihr könnt mich gern anzeigen.)
» Er kommt aus Frankreich.«
Ein paar Kinder nickten, als ob das alles erklärte.
» Und übrigens ist Robin nicht verrückt, sondern autistisch«, sagte ich und kam mir seltsam mutig vor. Aber Tyler zuckte nur die Achseln. In seiner Welt war autistisch und verrückt vermutlich das Gleiche. Meine Welt gefällt mir besser.
Ein paar von uns kamen näher, um zu hören, worüber Nick und Robin miteinander plauderten. Über die Börsenkurse? Über giftige Frösche? Bei Nick war alles möglich.
Ich spitzte die Ohren und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Nick brachte Robin ein Lied bei, und zwar dieses:
Frère Jacques, Frère Jacques,
Dormez vous? Dormez vous?
Sonnez les matines; Sonnez les matines,
Ding Ding Dong, Ding Ding Dong.
Und dann brachte er Robin die Version bei, die ich besser kannte:
Bruder Jakob, Bruder Jakob,
Schläfst du noch? Schläfst du noch?
Hörst du nicht die Glocken? Hörst du nicht die Glocken?
Ding dang dong, ding dang dong.
Dieser Anblick, wie Nick und Robin zusammen sangen, war verdammt süß. Es schnürte mir die Luft ab. Echt! Mir saß direkt ein Kloß in die Kehle.
In diesem Moment kamen Ma und ihre Assistentin Judy Goodman in die Turnhalle gestürzt. Irgendjemand musste ihnen berichtet haben, dass Robin mit Nick redete.
Erst sah Ma empört aus, als wolle sie Robin vor Nick retten und ihn in den Besenschrank sperren, wo er keinen Schaden anrichten konnte.
Aber dann, als Nick und Robin ruhig weitersangen, änderte sich Mas Gesichtsausdruck. Sie starrte die beiden entgeistert an, dann musste sie heftig schlucken.
» Schau dir das an!«, sagte sie zu Judy. » Auf so was hab ich eine Ewigkeit gehofft…«
» Man sollte den Glauben an die Kraft des menschlichen Geists nie aufgeben«, sagte Judy zu meiner Ma. (Oder an die Kraft des Roboter-Geists, dachte ich). Ma und Judy beobachteten Nick und Robin weiter, und ihre Gesichter strahlten. Judy sagt immer so schöne Sachen über Wunder und Happy Ends. Man fällt vom Rad und schürft sich das Knie auf? Judy erzählt einem, was für einen coolen Schorf das gibt. Ich mag Judy.
Als das Lied vorbei war, warf Robin Nick einen kurzen Blick zu, der eindeutig hieß: mehr! Wir alle hörten verblüfft zu, als Nick mit seiner sanftesten Stimme ein anderes Lied anstimmte und Robin mitsang.
Sie schaute vor sich auf den Boden, vielleicht nicht gewöhnt an all die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde, aber sie sang. Wie schön für sie!
Ma sah mich mit großen Augen fragend an, aber ich zuckte nur die Achseln. Ich war auch irgendwie schockiert. Wahrscheinlich war diese singende, glücklichere Robin schon die ganze Zeit da gewesen und wir hatten nichts davon geahnt. Aber… Nick irgendwie schon?
Nick und Robin sangen immer noch, als Robins Mutter kam, um sie abzuholen. Robins Ma war so hin und weg, als sie ihre Tochter singen sah, dass sie zu heulen begann. Und sie war nicht die Einzige. Ma verzog das Gesicht, was ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass sie gleich weinen würde.
Robin flüsterte Nick etwas zu und lächelte ihn selig an, dann hüpfte sie zu ihrer Mutter. Ihre Ma zerquetschte die arme Robin fast, so fest umarmte sie sie.
Als Robin und ihre Mutter die Turnhalle verließen, ging ich zu Nick und fragte ihn, was Robin zu ihm gesagt hätte.
Er antwortete ganz ruhig: » Sie hat mich gefragt: Mit Batterien oder
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