Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
Blick auf meine Uhr. Ich war fast zweieinviertel Stunden unterwegs gewesen, also doch etwas länger, als ich gesagt hatte.
Noch bevor ich die Zimmertür erreichte, fiel mir auf, daß sie offen war. Dann sah ich ein auf dem Boden liegendes Kissen, durch das sie offengehalten wurde. Ich konnte den eingeschalteten Fernseher hören.
Ich zog meine Pistole, preßte mich an die Wand und zielte mit der Waffe auf den Türspalt. Ich empfand erst ungläubiges Staunen, dann einen Schock. Mein Magen rebellierte, und ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen.
13
Ich betrat vorsichtig das Zimmer. Nichts.
Als erstes sah ich für den Fall, daß Kelly sich dort versteckt hatte, unter dem Bett nach. Vielleicht wollte sie irgendein Spiel mit mir spielen.
»Kelly? Bist du hier irgendwo?« Mein Tonfall war so ernst, daß sie sofort aus ihrem Versteck gekommen wäre.
Keine Antwort. Mein Herz hämmerte so heftig, daß meine Brust schmerzte. Wenn die anderen sie hatten, warum hatten sie mich dann nicht längst überfallen?
Mir brach der Schweiß aus. Ich begann in Panik zu geraten, stellte mir vor, wie sie bei sich zu Hause gewesen war, gesehen hatte, wie ihr Vater geschlagen wurde, nach ihrer Mommy gekreischt hatte. Ich verstand das Gefühl der Verzweiflung, wenn man sich wünscht, jemand käme und nähme all die schlimmen Bilder weg.
Ich zwang mich dazu, Ruhe zu bewahren und darüber nachzudenken, was ich als nächstes tun sollte. Ich verließ das Zimmer, rannte den zu den Zimmern führenden Balkon entlang und rief unterwegs halblaut: »Kelly! Kelly!« Als ich um die Ecke bog, stand sie plötzlich vor mir.
Sie hatte sich eben zufrieden lächelnd von dem Cola-
Automaten abgewandt und bemühte sich, den Verschluß einer roten Büchse aufzureißen. Aber ihr stolzes »Sieh nur, was für ein großes Mädchen ich bin«-Lächeln verschwand schlagartig, als sie mich mit schußbereiter Pistole und todernster Miene vor sich auftauchen sah.
Ich hätte sie am liebsten mit Vorwürfen überschüttet, aber ich beherrschte mich und biß mir auf die Unterlippe.
Kelly wirkte plötzlich traurig und trübsinnig. Daß sie sich eine Dose Cola geholt hatte, war ihre erste selbständige Unternehmung gewesen, seit sie mit mir zusammen war, und ich hatte sie ihr durch meine vorzeitige Rückkehr verdorben. Als ich sie ins Zimmer zurückführte, vergewisserte ich mich durch einen raschen Blick in die Runde, daß wir nicht beobachtet worden waren.
Auf ihrem Bett waren leere Keks- und Kräckerpackungen verstreut; das Ganze erinnerte an eine Szene aus Animal House.
Ich ließ sie auf dem Bett sitzen, während ich nach nebenan ging und ihr ein Bad einlaufen ließ. Als ich wieder herauskam, machte sie noch immer ein trauriges Gesicht. Ich setzte mich neben sie. »Ich bin dir nicht böse, Kelly, ich mache mir nur Sorgen, wenn ich nicht weiß, wo du bist. Versprichst du mir, das nicht wieder zu machen?«
»Nur wenn du mir versprichst, mich nicht wieder allein zu lassen.«
»Versprochen. Jetzt zieh dich aus, damit du baden kannst.« Ich schob sie ins Bad, bevor sie richtig zum Nachdenken kam.
»Wäschst du dir die Haare selbst, oder macht das jemand für dich?« fragte ich, weil ich keine Ahnung hatte.
Kelly machte ein Gesicht, als sei sie kurz davor, in Tränen auszubrechen.
»Soll ich sie dir waschen?« erkundigte ich mich.
»Ja, bitte.« Ich fragte mich, was in ihrem kleinen Kopf vorgehen mochte.
Ich griff nach dem Shampoo und machte mich an die Arbeit; sie jammerte, weil der Schaum in ihren Augen brannte und sie an den Ohren kitzelte, aber ich merkte, wie sie es genoß, daß sich jemand mit ihr beschäftigte. Das war verständlich, denn in letzter Zeit hatte sie nicht allzuviel Aufmerksamkeit bekommen. Ihre ganze Welt war auf den Kopf gestellt worden, und sie wußte es noch nicht einmal.
Kelly war eine Wasserratte. Für mich war das nur gut, denn je länger sie in der Badewanne blieb, desto weniger mußte ich mich um sie kümmern. Die Aufgabe, sie zu waschen, sie anzuziehen, mit ihr zu reden und ihre Fragen zu beantworten, war unerwartet anspruchsvoll. Ich ließ sie noch eine halbe Stunde planschen, bevor ich sie aus der Wanne holte und sie aufforderte, sich abzutrocknen.
Ich duschte, rasierte mich und zog frische Sachen an. Unsere alten oder nicht passenden Klamotten packte ich in einen Wäschesack, den ich in die neue Reisetasche legte, um ihn bei erster Gelegenheit wegzuwerfen.
Dann waren wir beide im Zimmer, und sie hatte sich selbst
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